ERZHERZOG LUDWIG SALVATOR Der Prinz des Mittelmeeres
Druck und Verlag: Heinrich Mercy Sohn , Prag
Erschienen: 1905
Aufwändigst gestaltete Monographie der im ionischen Meer gelegenen Insel Ithaka, welche die Legenden umwobene Heimat des Odysseus gewesen sein soll. Neben einer umfassenden Beschreibung der allgemeinen und speziellen Verhältnisse beinhaltet sie auch die berühmten „Archäologischen Plaudereien und geschichtlichen Winke“, die einen Diskurs mit dem Archäologen Dr. Wilhelm Dörpfeld bezüglich der Frage beinhaltet, ob sich der Herrschaftssitz von König Odysseus auf der benachbarten Insel Lefkas (Meinung Dörpfeld) oder auf Ithaka (Meinung Ludwig Salvator) befunden haben soll.
Das Werk erschien im Jahr 1910 auch in einer verkürzten Version (16°, 148 Seiten, 2 Tafeln) in tschechischer Sprache (J.V. Prásek – V. Prase, Koci) unter dem Titel „Ithaka“.
ORIGINALE WIEDERGABE DER „ARCHÄOLOGISCHEN PLAUDEREIEN UND GESCHICHTLICHE WINKE“:
„Die Unsicherheit betreffs der Identität des heutigen Ithaka mit dem homerischen herrschte schon vor Jahrhunderten. Schon unter den Ptolemäern entstanden im gelehrten Alexandrien Zweifel, ob das Ithaka der classischen Zeit identisch sei mit dem Homers. In den üppigen Landhäusern von Nikopolis träumte man genügend hievon, aber schliesslich, wenn man alle Gründe pro und contra erwogen hatte, blieb man der alten traditionellen Ansicht treu.
Erst in neuerer Zeit hat man die längst ruhende Frage wieder aufgerüttelt. Ganz sicher gelten die herrlichen Gesänge der Odyssee keinem anderen Meere wie jenem, wo die südlichen ionischen Inseln hingelagert sind. Es ist schliesslich gleichgiltig, auf welches Eiland sie sich beziehen. Die Frische der Mittagsbrise an den Sommertagen, der eigenthümliche Duft, den in den Morgenstunden die waldigen Abhänge dieser Inselküsten verbreiten, der wohlige Schatten ihrer Ufer und felsigen Buchten haben Homers unsterbliches Lied geschaffen. All diese Schönheit strömt uns aus der Schöpfung des Dichters entgegen und es ist kein Wunder, dass so viele seiner Bilder die Natur treu wiederspiegeln.
Alle Landschaften der ionischen Inseln haben untereinander eine auffallende Aehnlichkeit. Dieselbe Vegetation, in den Hauptzügen dieselbe geologische Bildung, die nahezu gleiche Orientirung mussten nothwendigerweise unter den einzelnen Inseln eine auffallende Verwandtschaft zur Folge haben. Thatsächlich sind sie ja auch wirklich Theile einer ehedem zusammenhängenden Gebirgskette: heute ragen nur mehr deren höchste Kuppen aus dem Meere hervor. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die mehr oder minder allgemeinen homerischen Schilderungen für viele dieser Landschaften passen. Jeder konnte also leicht in denselben diejenigen Landschaften erkennen, welche seine Phantasie besonders beschäftigten. Auf diese Weise kamen die discrepantesten Ansichten zur Geltung; man fand das homerische Ithaka in den verschiedensten Inseln wieder. Bald war es das heutige Ithaka selbst, bald – und zwar schon im 17. Jahrhundert – war es das kleine Atoko, das schon in seinem Namen als unfruchtbar gekennzeichnete Eiland, bald das üppige Lefkas, bald der südöstliche Theil von Cephalonien. Auf einer jeden dieser Inseln erhob sich der thronende Neriton, der weithin sichtbare homerische Berg. Vielleicht mit mehr Recht als jede andere Insel rühmte Cephalonien die Höhe seines Mavro vuni, des höchsten Berges aller ionischen Inseln. Auf Ithaka war es der Berg von Anoyf, auf Lefkas der Stavrotas und endlich auf dem kleinen Atoko die Höhe der beiden Hauptkuppen.
Dass die Odyssee nicht den Anschein einer einheitlichen Schöpfung hat, steht fest. Dies gab auch zu der Annahme Anlass, dass sie nicht das Werk eines einzigen Dichters sei, sondern mehrere Verfasser habe, ferner dass sie nicht aus einem Gusse hervorging, sondern nach. und nach entstand. Die älteren Theile von den neueren zu scheiden, ist jedoch keine so leichte Aufgabe, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte, umsoweniger, als das Hinzugefügte sicher dem Alten thunlichst angepasst wurde. Jedenfalls aber ist es eine sehr bequeme Theorie, zu behaupten, dass alles, was nicht für die eigene vorgefasste Meinung passt, der neue ren Schöpfung angehört, während alles, was dieser subjectiven Ansicht dienlich ist, als echtes Product der alten homerischen Zeit angesehen wird. Inwieferne dies der Wahrheit entspricht, mag dahingestellt bleiben. Unwillkürlich fragt man sich, warum die älteren Schilderer die Landschaft besser kennen sollten als die neueren. Man braucht nur eine Zeit lang Volksgedichte gesammelt zu haben, um zu wissen, wie viele Varianten sie aufweisen. Erinnert sich der Volksbarde an irgend etwas nicht genau, so schafft er es neu, und das Lied, das sonst verstümmelt wäre, wird durch diese Erfindung vervollständigt. Und wenn dies heutzutage, bei neuen Dichtungen, geschieht, um wieviel mehr musste es vor Jahrtausenden der Fall sein, da sich doch Jahrhunderte hin durch das complicirte Epos nur durch orale Wiedergabe erhielt! Was mag da nicht alles vergessen, verstümmelt, verändert worden sein, bis schliesslich dieses Ergebnis der Jahrhunderte zum literarischen Eigenthume der Welt wurde. Wie viele Landschaften, namentlich solche, die als Coulisse dienten, mag der neue Barde verändert, wieviele ihm selbst lieb gewordene neue Bilder mag er hinzugefügt haben, ähnlich wie Cima da Conegliano im Hintergrunde seiner Madonnenbilder immer wieder die entzückende Landschaft seiner Heimat malte. Somit ist es ein irriges Verfahren, wenn man die Identität einer geschilderten Landschaft in den beschränkten Oertlichkeiten einer einzigen Insel- finden will. Wenn man in solchem Falle alle die weniger passenden Plätze ausschliesst, so kommt man naturgemäss zum Schlusse, dass dieser oder jener Ort der von dem Dichter beschriebene sei, während der Poet thatsächlich den geschilderten Schauplatz meilenweit entfernt auf einer anderen Insel erschaut hat.
Wenn man nur die für eine Meinung. günstigen Momente berücksichtigt, so gelangt man ausserordentlich leicht zu einer einseitigen Auffassung. Nur die gleichmässige Berücksichtigung aller Gründe, die für und gegen eine Ansicht sprechen, ermöglicht ein unbefangenes Urtheil.
Eines Tages sass ich in Rom bei Lindemann-Frommel, diesem (von Oswald Achenbach abgesehen) italienischesten der deutsch-italienischen Landschaftsmaler, im Atelier. Wir sprachen über die Art und Weise, wie Landschaften wiederzugeben seien. Da sagte der Meister zu mir: »Wenn man im Freien eine Landschaft anschaut, so sieht man nicht bloss, was einem vor Augen liegt, sondern der Blick wendet sich nach rechts und links und der Geist empfängt eine Gesammtvorstellung von dem, was das leibliche Auge erschaut. Deswegen ist es gestattet, auch benachbarte Plätze, die schön sind, in das Bild aufzunehmen.« Es ist kein Wunder, dass dies auch Homer that und in seine Schilderungen auch aus Nachbarplätzen alles einfügte, was zu seinem Bilde passte.
Ich erachte es für eine ganz unrichtige Ansicht, die Schöpfungen eines phantasievollen, sprudelnden Dichtergeistes auf die engen Grenzen einer pedantischen topographischen Schilderung oder gar eines See-Itinerars beschränken zu wollen. Es wäre eine Art fortwährenden Hemmnisses gewesen, wenn der Dichter an festbestimmte Plätze gebunden gewesen wäre. Passten diese zur Schilderung, so konnten sie aufgenommen werden, aber ein Zwang bestand nicht. Was liegt denn beispielsweise daran, ob das zu Homers Schilderung passende, mit einem doppelten Hafen versehene Asteri, das jetzige Arkudi, nordöstlich von der Insel liegt oder südwestlich. Der Dichter hat’s gesehen, der Dichter hat’s geschildert und dann seinem Zwecke entsprechend in der letzteren Lage verwerthet.
Was liegt denn daran, ob der thronende Neriton etwas höher oder niedriger war. Auf der Höhe des Berges ist der Dichter gewandert, hat dort geträumt, gedichtet, hat von dort erspäht, was nur in seiner Einbildung lag.
Was liegt denn daran, ob die bescheidene Behausung eines Hirtenköniges grösser oder kleiner war. Die Phantasie des Dichters hat sie so prunkhaft als möglich geschildert. Aus dem vielleicht grob gemeisselten steinernen Sockel hat sie blauemaillirte silberbelegte Wände gemacht.
Ein junger Mann sass eines Tages in einem schattigen Parke neben dem schon hochbetagten Bernardin de Saint- Pierre. Von der Schönheit seiner Schöpfung „ Paul und Virginie“ mächtig ergriffen, stellte er ihm die naive Frage, ob das Erzählte auch alles wahr sei. Bernardin de Saint- Pierre blickte ihn gütig und liebevoll an und bat ihn, er möge ihm die Rose geben, die er in der Hand hielt. Der Jüngling beeilte sich, diesem Wunsche nachzukommen. »Nicht wahr, das ist eine Rose?« fragte der Dichter. »Zweifelsohne« lautete die Antwort des jungen Mannes. Da fing der Greis an, Blatt um Blatt von der Rose zu entfernen, bis schliesslich nur der Stiel zurückblieb. Diesen gab er dem Jüngling zurück und fragte: »Ist das auch noch eine Rose?« Der junge Mann lächelte; er verstand das Gleichnis.
Was von einem Werke moderner Dichtkunst gilt, um wie viel mehr trifft dies für die Meisterwerke zu, die vor Jahrtausenden entstanden sind, bei denen es sich viel weniger um die Coulissen des wiedergegebenen Dramas handelt, als um die wirkende Kraft des lediglich durch mündliche Ueberlieferung erhaltenen Epos, das, dem Sturm der Jahrtausende trotzend, bis zu unserer Zeit den Geist der Menschheit mächtig beschäftigt.
Es liegt auch etwas Unnatürliches darin, dass sich eine Dichternatur durch Fesseln binden lassen soll, ohne der Phantasie freien Spielraum gewähren zu können. Der Hintergrund soll dem Bilde angepasst werden, nicht das Bild dem Hintergrund.
Es passte dem Dichter, seinen Helden bis in die Nähe der Herkulessäulen vordringen zu lassen, und da lässt er ihn, ohne Land nördlich oder südlich zu sehen, von Malta westlich ziehen und bis zur Wunderhöhle der Kalypso gelangen. Würde ein Schiffer solches beabsichtigen, so müsste es ihm fürwahr schwer fallen, nicht die Höhen Siciliens oder die fahlen Abstürze von Cap Bon zu erblicken. Aber für den Dichter ist das keine Schwierigkeit: es passte ihm für sein Epos.
Es handelt sich also weniger darum, festzustellen, auf welche ganz bestimmte Landschaft sich die homerischen Schilderungen beziehen, als zu sehen, auf welchen Theilen sie hauptsächlich basiren.
Vier grosse Inseln und zahlreiche kleinere lagen um das Reich des Odysseus, und dass ein solches Reich bestanden haben mag, das dann als Basis für die Entwicklung des Epos gedient haben wird, ist mehr als wahrscheinlich.
„Betrachten wir doch die Karte der ionischen Inseln“ sagte eines Tags Wilhelm Dörpfeld zu mir; „Homer spricht von vier grossen und mehreren kleineren Inseln.
Wo sind die grossen ?“
Ein Blick auf die Karte behebt jeden Zweifel. Ueber Zakynthos sind alle Forscher einig; es bleiben nur noch drei Inseln übrig: Dulichion, Same und Ithaka. Ein Verschwinden der vierten grossen Insel in verhältnismässig historischer Zeit ist geologisch kaum anzunehmen. Die vierte Insel in dem kleinen Meganissi zu erblicken, wie es Victor Berard gethan hat, erscheint unwahrscheinlich, wobei auch die Lage Ithakas zu den anderen Inseln nicht mehr passt und wenn wir sie nicht in dem westlichen Vorsprung von Cephalonien nördlich von Lixuri in der Halbinsel Paliki suchen, bleibt nur übrig, als die vierte grosse Insel, die man als Halbinsel zu erklären suchte, Lefkas anzusehen. Diese Ansicht ist für den ersten Moment ganz bestechend, wenn nicht andere gewichtige Gründe dagegen wären.
Bei der Wahl der Hauptstadt für ein seefahrendes Volk, das ein Inselreich bewohnt, muss in erster Reihe auf die in maritimer Hinsicht günstige Lage derselben Rücksicht genommen werden und jene Ithakas mit den sie umgebenden Inseln, seinen zahlreichen Einbuchtungen und trefflichen Ankerplätzen ist eine besonders ausgezeichnete. Kein Seemann würde sich aus dem Odysseischen Reiche eine andere Insel im Centrum erwählen als das heutige Ithaka. Man bedenke die damaligen Zustände der Navigation: kleine offene Boote, nur durch Ruderkraft getrieben, bei günstigem Winde durch unvollkommene Quersegel vorwärtsgebracht, sollten sie an dieser von den West- und namentlich Südwestwinden gepeitschten Küste dem offenen westlichen Meere mit den unaufhörlich heranrollenden Riesenwellen trotzen, um die Häfen von Argostoli oder die Nordseite von Lefkas aufzusuchen, wo sie doch ein von allen Seiten geschütztes hafenreiches Eiland im Centrum des Reiches besassen? Nein. Kein Seemann wird dies je als denkbar zugeben.
Von allen Seiten durch inneres Meer erreichbar, ohne je der ganz offenen schweren See trotzen zu müssen, war die Insel Ithaka auch bei Sturm und Unwetter für kleinere Fahrzeuge erreichbar, ein Umstand, der bei unbefangener Beurtheilung für die Wahl der Reichshauptstadt besonders ausschlaggebend erscheinen muss und vielleicht am allermeisten geeignet ist, als wichtiges Argument die Identität des heutigen Ithaka mit dem homerischen darzuthun.
Die Wahl der am leichtesten vom Lande aus erreichbaren Insel oder einer Insel, die nördlich schutzlos war, wie Lefkas, erscheint unwahrscheinlich.
Der eine oder der andere Passus der Odyssee mag mehr oder minder gut interpretirt werden können, mag sich mehr oder minder dem einen oder anderen Eiland anpassen lassen: die geschützteste, sicherste, am leichtesten zu vertheidigende Residenz für einen maritimen König musste für den Herrscher der mittleren ionischen Inseln das heutige Ithaka sein. Diese Thatsache wird keine neue Deutung des Textes, wird keine Ausgrabung auf anderem Boden, mögen die Resultate noch so glänzend sein, je umwerfen können. Die Hütte oder der Palast einerlei ob es dies oder jenes war – des homerischen Helden stand auf dem jetzigen Ithaka, und wer Verhältnisse, Gebräuche und vor allem die geographischen Vortheile prüft, wird selbst gegen seinen Willen ein Anhänger dieser Meinung werden.
Mochte von wo immer ein Unwetter stürmen, lthaka besass stets einen sicheren Ankerplatz, wo Boote landen und, dem alten Brauch entsprechend, ans Ufer gezogen werden konnten. Kamen die Winde von Osten und Nordosten, dann gewährten die Bucht von Polis mit ihrem herrlichen Strande, Pisso Aetos und Andri treffliche Landungsplätze. Kamen sie von Nordwesten oder Westen bis Südwesten, dann boten die tiefen Häfen von Frikes und Vathy sichere Ankergründe für den Schiffer und zog der Nordwind ungestüm durch beide Canäle, so konnte man in der breiten Einbuchtung, die sich von Skotaria bis Ayos Ioannis hinzieht, mit ihren verschiedenen kleinen Sandufern, namentlich den trefflich geschützten von Sarakiniko vorzüglich Zuflucht finden. Drehte sich plötzlich der Wind nach Süden oder Südosten und trieb die fahlen Wogen nordwärts durch die Canäle, da war es nicht bloss möglich, ungefährdet in den Ankerplätzen der Ost- und Westküste zu bleiben, sondern auch die geräumige Bucht von Afales im Norden eröffnete sich als möglicher Landungsplatz.
Für die antike Navigation waren Häfen, in denen das Meer nicht brandete und ein sanftgeneigtes Sandufer das Hinaufziehen der Boote gestattete, besonders erwünscht, und gerade diese Verhältnisse fanden sich auf Ithaka wie kaum anderswo in der Nachbarschaft der Insel vereinigt. Jeder der sechs wichtigeren Ankerplätze besitzt einen Strand von kleinen Kieseln, auf welchen die Boote ohne Mühe hinaufgezogen werden können, da das Wasser bis ganz nahe am Ufer genügend tief ist. Thatsächlich geschieht dies hier auch heute noch sehr häufig, in manchen Orten, wo der Strand offener liegt, sogar allabendlich beim Hereinbrechen der Dunkelheit. Auf solchem Strand konnte man die Fahrzeuge auch nach Wunsch und Herzenslust reinigen und ausbessern. Die Verhältnisse Ithakas sind überhaupt in vielfacher Beziehung trotz des Vorüberziehens von Jahrtausenden genau so geblieben wie zur homerischen Zeit und die Odyssee in der Hand, staunt man, wie meisterhaft der Dichter die Fülle dessen, was man heute noch sieht, mit Worten wiedergegeben hat.
Keine Insel konnte ferner leichter bewacht werden als Ithaka. Schiffe, die auf etwa ankommende Feinde lauerten, konnten fast rings um Ithaka in allen benachbarten Buchten Schutz finden. Auch die Höhen dieses Eilands waren zu leichter Vertheidigung wie geschaffen. Nur im Norden bleibt Ithaka mit der Bucht von Afales dem offenen Meere theilweise ausgesetzt. Im Westen der mächtige Schutz von Cephalonien, im Osten die benachbarte Festlandsküste, im Süden vortretend die peloponnesische. Die kleinen Inseln des Reiches lagen wie im Kranze um Ithaka (das „Inselumgebene„) und von keiner anderen Insel gelangte man mit gleicher Leichtigkeit nach Lefkas mit dem herrlichen Vlichohafen und der tiefen Bucht von Vassiliki, nach Cephalonien mit den Häfen von Viscardo und Pilaros und der Bucht von Samos, ja im Schutze Cephaloniens bis Cap Kakova zu dem am meisten auswärts gelegenen Zakynthos. Es ist mithin, wie wir schon anfangs erwähnten, als sicher anzunehmen, dass ein maritimes Volk alle diese Vortheile abwägen musste, wenn es galt, die Hauptstadt des Reiches zu erwählen. Es ist etwas anderes, wenn man bei schwerer See und bei Gegenwind Hand ans Ruder legen soll, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, etwas. anderes, in der Stube, am Schreibtisch über die Wahrscheinlichkeiten der Deutungen von c1assischen Stellen zu urtheilen.
Ich theilte diese meine Gründe Dr. Dörpfeld mit, der sie mit der klaren Einsicht eines begabten Mannes als richtig anerkannte und mir sagte, er habe an diese Erwägungen nur nie gedacht. Freilich sind auch die verschiedenen Gründe, die er gegen die bisherige Annahme, das homerische Ithaka sei mit dem heutigen Ithaka identisch, ins Treffen führt, sicherlich sehr bestechender Art .
Es wird nicht uninteressant sein, zu sehen, wie man zur Identificirung der einzelnen Plätze mit den antiken allmählig gelangte.
Valcompare, wie das jetzige Ithaka unter den Venetianern genannt wurde, war längst in Vergessenheit gerathen. Kein Mensch dachte mehr daran, dass jene ernsten Höhen, jener stille Hafen, in dem die verseuchten Schiffe Venedigs ihre Quarantaine abmachten, das homerische Ithaka sei. Wem lag damals etwas daran, die sagenhaften Erzählungen eines mythischen Epos mit der Wirklichkeit in irgend eine Beziehung zu bringen. Da auf einmal nahm die Richtung der Bildung, der gelehrten Studien eine bemerkenswerthe Wendung: man kehrte zur Antike zurück. Der Mann aus Ajaccio hatte den ersten Schritt dazu gethan, als er das römische Reich wiederherstellte. Der Adler des Zeus überragte die siegenden Fahnen, und auf dem fast augustäischen Kopfe des modernen Imperators prangte der Lorbeerkranz. In der Architectur, im Mobiliar modelte sich die Empirezeit nach dem classischen Alterthum und kein Wunder, dass auch die Literatur dieselbe Richtung nahm. Namentlich in England wurden die classischen Studien die Basis der Bildung. Die jungen Leute lebten mit der Einbildungskraft sozusagen in Hellas. Die grossen Schöpfungen der classischen Zeit wurden zum Gemeingut aller Gebildeten. Gerade um diese Zeit fiel Ithaka als erste der ionischen Inseln unter englischen Schutz. Ganz natürlich war es, dass die alte Tradition neues Leben gewann. Bald war das venetianische Valcompare wieder zum classischen lthaka geworden.
Nun wurden auf Ithakas Höhen griechische Verse dec1amirt. Auf dem Aetos sah man, wozu ja auch der Name passte, hoch in den Lüften den Adler des Zeus seine Kreise ziehen. Hier ragte zweifelsohne einstmal die Burg des Odysseus; der Petalata Vun6 war der Nexion und der Anoyf-Berg der Neriton. Es passte alles so gut; ein griechischer Geistlicher aus Oxoyf, der lange Zeit in Neapel gewohnt und sich c1assischen Studien gewidmet hatte, fing an, die einzelnen Plätze mit Namen aus der Odyssee zu taufen, beziehungsweise zu identificiren. Die Arethusa-Quelle wurde in dem kleinen, zwischen Venushaarfarnen tröpfelnden Perapigadi erkannt, unbekümmert um die homerische Aussage, dass vier Könige daran gearbeitet hatten, diese Quelle zur odysseischen Stadt zu führen, unbekümmert auch um den dazwischen liegenden Hügel, den man hätte durchbohren müssen. Eine kleine Quelle, die in der Nähe von Stavr6s am Fusse jäher Abstürze sickert, wurde Melanhydros getauft; ja, man wollte sogar die Hütte des Sauhirten Eumaeus in kaum kenntlichen Ueberresten identificiren. Die Gärten des Laertes verlegten die einen nach Sakkos, die anderen nach Lefki und wiederum andere nach Agries in der Nähe von Kalamos. Ja sogar die Grotte der Nymphen wollte man gefunden haben, unbekümmert darum, dass sie nicht am Meeresstrande, sondern hoch am Bergesabhang gelegen war, und einen grösseren Quaderstein, der wahrscheinlich dazu gedient hatte, ein kleines Loch in der Wölbung zu schliessen, damit das weidende Vieh nicht in die Höhle falle, betrachtete man als eine Art Altar oder Opferstein, der im Centrum der Höhle aufgestellt worden sei, während er gewiss ganz einfach durch die zunehmende Erosion der Wölbung in die Grotte gefallen war. Ist aber nicht vielleicht die Seehöhle von Sarakiniko, die einstens viel tiefer war, mit der homerischen Nymphengrotte identisch? Sicher passt sie viel besser zu der meisterhaften Schilderung des Dichters.
Nun gab sich auch die Bevölkerung classische Namen. Der eine hiess Odysseus, der andere Telemachos, und die Bewohner Ithakas bildeten sich ein, sie seien Nachkommen der homerischen Ithakesier, ohne daran zu denken, dass die Meisten doch nur die Nachkommen jener Einwohner sein konnten, welche in Folge eines Aufrufes der venetianischen Herrschaft die fast verödete Insel neu besiedelt hatten.
In einer der Welt bekannten Weise war William Gell mit seinem 1807 erschienenen Werke derjenige, welcher zuerst die homerische Topographie des jetzigen Ithakas begründete.
Dieser ganze künstliche Aufbau sollte jedoch nicht von langer Dauer sein. Man begann die Fügung der Steine der megalithischen. Bauten auf dem Aetos zu untersuchen und es ergab sich mit unzweifelhafter Sicherheit, dass dieselben einer viel späteren Periode angehören, ja dass sie erst ins sechste oder gar vierte Jahrhundert zu setzen seien. Auch wendete man dagegen ein, dass der steile Aetos nicht genügenden Raum für die Ausbreitung der homerischen Polis darbieten würde und die alte Combination der Identificirungen fiel wie ein Kartenhaus zusammen.
In dem Namen Polis glaubte man den Schlüssel gefunden zu haben. Mit scharfem Blicke war schon Leake zur Ueberzeugung gekommen, dass die odysseische Hauptstadt im Norden der Insel gelegen war. Das jetzige Palaeo Kastro war das Schloss des Odysseus, der Berg von Anoyf das antike Nelon, nur der thronende Neriton blieb fest. In dem Namen der Bucht von Frikes wollte man eine Corruption des alten Namens des Phorkys-Hafens erblicken. Der Petalata Vuno war kein Berg mehr, sondern man gefiel sich darin, ihn als Ebene darzustellen, natürlich nicht vom Vathy-Hafen aus gesehen, wo seine schattenspendende Höhe mächtig emporragt, sondern von Marathia her, wo die Lehnen verflacht emporsteigen.
Doch selbst das passte bald nicht mehr. Völker stellte 1830 zuerst den Zweifel über die Wirklichkeit der Gesammtgrundlage auf, aber erst Hercher warf i. J. 1866 alles nieder, indem er überhaupt die Schilderung wahrer Verhältnisse seitens Homers leugnete.
Nun kommen die jüngsten Behauptungen Dörpfelds – der Neriton ist überhaupt nicht auf dem heutigen Ithaka, sondern auf Lefkas zu suchen: das heutige Lefkas ist das homerische Ithaka. Jahrtausendelang waren die Menschen so blind, dass sie diese angeblich so augenscheinliche Thatsache nicht erkannten.
Die Arethusa-Quelle wurde auf Lefkas gefunden, mit Thonröhren aus noch mykenischer Zeit, das homerische Polis lag in der Ebene von Nidri und der geschützte Vlicho-Hafen war der Hafen der odysseischen Hauptstadt!
Die verhältnismässig barbarische Zeit, welche der vordorischen weitentwickelten Civilisation bis zur sogenannten classischen Epoche folgte, kann wohl mancherlei verwischt haben: dass sie aber den Namen von einer Insel auf die unmittelbar benachbarte übertrug, ist kaum zu glauben.
Doch was thuts! Die Tradition von Jahrtausenden, die Identität des Namens – sie sind nichts gegen die angebliche Wahrheit dieser Entdeckung. Man greift zur Theorie der Völkerverschiebung. Der Neriton war der Stavrotas. Der Name verblieb in einer Ansiedlung am Meeresufer, aber er wurde nicht hinübergebracht zur neubevölkerten Insel wie der Name der Leute, welche ihre Zufluchtsstätte nach ihrer früheren Heimath Ithaka benannten.
Wie darf man aber annehmen, abgesehen davon, dass überhaupt der dorische Zug nach Westen nach Meinung einiger unwahrscheinlich erscheint, dass die vor den damals noch halb barbarischen Doriern flüchtenden Bewohner Ithakas sich so nahe angesiedelt hätten, dass sie nun im Angesichte der vom Feinde besetzten Insel verblieben? Wie darf man annehmen, dass sie die Bevölkerung des doch zum Reiche des Odysseus gehörigen Same verdrängt hätten, da diese doch wohl gerne bereit gewesen wäre, die Flüchtlinge aufzunehmen, ja zu unterstützen, und wie darf man annehmen, dass ein vertriebenes Volk sofort wieder andere Stämme verjagt, statt sich mit ihnen zur Wiedereroberung des verlorenen Mutterlandes zu vereinigen, dass die dort ansässige Bevölkerung willig nach Kephallenia, dem angeblichen – Dulichion hinübergewandert sei, um Same zu stiften?
Wenn auch im Meere eine Welle die andere treibt, so ist doch nicht anzunehmen, dass die Wellen der Völkerverschiebung in solcher Weise die Bevölkerung von einer Insel zur anderen hinüberspülten. Und war damals bei dieser hochentwickelten Civilisation der mykenischen Periode, die um Jahrhunderte der sogenannten classischen voranging, nicht auch Cephalonien bewohnt? Konnte diese besiedelte Insel stillschweigend eine Ueberschwemmung von einer Nachbarbevölkerung ansehen? Wenn die Dorier auch damals nur ein Landvolk waren, so bewiesen sie ja doch später zur Genüge, dass sie auch zur See tüchtig waren. War somit nicht jeden Moment zu befürchten, dass das siegreiche Volk die neue Ansiedlung bei Polis bedrohen würde, bei einer Entfernung, die mit einem Einbaum (Monoxilo, dieser Nachen hat sich noch auf Sta. Maura erhalten) zu erreichen war?
Wohl erwidert man dagegen, dass die Feindschaft nicht dem Volke galt, sondern dass man nur dessen üppige Ländereien haben wollte und dass das magere Ithaka nicht in Betracht käme.
Durchwandert man, durchdrungen vom Geiste der homerischen Dichtung, die Odyssee in der Hand, die Höhen des heutigen Ithaka, so erkennt man, wie meisterhaft das Eiland geschildert ist. Wie man bei einem Bilde gleich von weitem an der Gesammtstimmung erkennt, ob es sich um eine italienische oder um eine griechische Landschaft handelt, ohne dass man eine bestimmte Oertlichkeit erkennt, so sieht man, dass die in der Odyssee geschilderten Landschaften ionische waren. Jedes Detail ist richtig, jedes ist sozusagen der Natur abgelauscht: der Dichter oder die Dichter hatte oder hatten dort gelebt, dort geschaut, dort gedichtet. Es sind keine Bilder, die man aus der Erzählung eines anderen hätte schaffen können. Die vielen Reisen in der classischen Welt, die Aehnlichkeit zwischen den Verhältnissen dieser Welt und denen der vorangegangenen mykenischen Culturepoche, erklären diese Thatsache auf eine leichte Weise. Gerade das Wandern und Reisen war bei Dichtern natürlich, welche ihre Schöpfungen immer neuen Bewunderern zu Gehör zu bringen bestrebt waren, ja ich möchte fast sagen, dass es eine Folge ihrer Beschäftigung war. Wanderten Dichter, Künstler, Gelehrte regelmässig von Hellas nach Aegypten, so war nur eine verhältnismässig kurze Reise nöthig, um von den kleinasiatischen Küsten nach den ionischen Inseln zu gelangen.
Die Hauptschwierigkeit besteht, wie wir schon Anfangs sagten, in der Feststellung, welche die vierte der grossen achäischen Inseln war.
Die schon in grauer Vorzeit angenommene Vermuthung, welche namentlich Andron betonte, dass die vierte Insel die nordwestliche Halbinsel von Cephalonien, Paliki, das alte Pale, sein konnte, die man auch später, gleichsam als wäre es eine Insel, Anticephalonien nannte, hätte eine gewisse Wahrscheinlichkeit; die Ueppigkeit ihres Bodens, der auch heutzutage mehr Korinthen liefert, wie der grosse übrige Theil Cephaloniens zusammengenommen – sie konnte also leicht dazumal als die getreide reiche bezeichnet werden und dass ihre Wichtigkeit eine grosse war, dafür genüge der Umstand, dass sie ein getrenntes Königreich bildete würde für die grosse Anzahl von Freiern, welche Dulichion lieferte, günstig sprechen, während das gebirgige, zum Anbau wenig geeignete übrige Cephalonien die niedrigere Ziffer der Freier von Same erklären möchte.
Nicht genügend zu betonen ist der Umstand, dass Ithaka in der Odyssee fünf mal amphialis, d. h. meerumgürtet genannt wird, was sie als Insel, wo es selbstverständlich ist, gar nicht brauchte, als wollte der Dichter damit den Gegensatz zu den stets zusammen genannten Same und Dulichion, den »Gepaarten«, die nicht gänzlich meerumgürtet waren, hervorheben; denn dass das weit im Meere liegende Zakynthos es sei, ist klar und dann passt der homerische Ausdruck für Dulichion und Same noch besser als für das doch getrennte Cephalonien und Ithaka. Wenn man den Ausdruck amphialis, für von zwei Meeren benetzt nimmt, wie es Dörpfeld thut, passt es wohl für Lefkas, es würde aber ebenso gut für Cephalonien passen, welches den weitsichtbarsten Berg besitzt.
Und wird dieser Meinung die Schwierigkeit entgegengestellt, dass Paliki keine Insel, sondern nur eine Halbinsel war und der Dichter nur von Inseln spricht, so entsteht doch auch dieselbe Schwierigkeit bei Lefkas, von dem wir wissen, dass es schon im Alterthume durch einen Isthmus mit dem Festlande verbunden war.
Geht man von dem Standpunkte aus, dass das zur homerischen Zeit noch als Halbinsel vorhandene Lefkas als Insel betrachtet wurde, so kann man aus demselben Grunde ebensogut Paliki als eine Insel ansehen, da der nur 1300 Meter Breite und 185 Meter Höhe besitzende Isthmus, mit dem es mit dem übrigen Theil Cephaloniens zusammenhängt, demselben eine noch getrenntere Lage verleiht, wie die breite Niederung von Sta. Maura mit ihrem an sechs Kilometer breiten Isthmus.
Wann dieser Isthmus gebildet wurde, ist schwierig zu bestimmen, sicher aber in prähistorischer Zeit; die Korinther verbanden erst im 7. Jahrhundert den ambrasischen Golf mit ihren Küsten durch einen schiffbaren Canal.
Der Umstand, dass im Golfe von Prevesa, dem einstigen ambrasischen Golfe, häufig sehr steife Winde von Nordosten blasen, während südlich von Lefkas und draussen am Meere Südwestwinde herrschen und so den an den Küsten so häufigen Greco-Garbi, der die grossen Regenmengen fallen lässt, verursachen, kann allmählich die Anschüttung des Isthmus zwischen der Insel Lefkas und dem Festlande verursacht haben, da sich hier beide Wellenbewegungen begegneten, die von Nordost kommenden mit dem Detritus der benachbarten Küsten und die von Südwesten, Süden und namentlich Südosten kommenden, welche den Schlamm der verschiedenen, an der Festlandsküste ausmündenden Flüsse hinauftrieben. Dies erklärt die Sache trotz des Mangels an grösseren, in unmittelbarer Nähe gelegenen Zuflüssen. Dass im Isthmus eine Verschiedenheit des Niveau entstand, wobei derselbe zur Lagune wurde, beweisen die Reste einer scheinbar römischen Brücke und anderer Baulichkeiten zur Genüge. Schwer ist jedoch zu bestimmen, ob dieselbe durch eine Erhöhung des Meeresniveaus oder eine Senkung des Bodens verursacht worden sei. Wir haben im benachbarten Zante bei Pissa u. s. w. genügende Beispiele von Bodensenkungen und gegen eine Erhöhung des Meeresniveaus scheint der Umstand zu sprechen, dass im benachbarten Hafen von Vathy auf Ithaka sich an verschiedenen Stellen des östlichen Ufers desselben von Pholas durchbohrte Felsen zeigen, welche offenbar einstens unter dem Meere lagen, wenn wir nicht hier wieder die Vermuthung einer localen Hebung annehmen.
Nimmt man Paliki als Dulichion, so passen alle zu Gunsten Lefkas‘ in Anspruch genommenen Eigenschaften ebenso für Ithaka; nicht blos ist es das am meisten nach Nordwesten, nach dem Sofos gelegene, wenn auch nicht mit seiner äussersten nördlichen Spitze, die etwas weniger hinausragt wie jene Cephaloniens, so doch mit der Gesammtheit seines Gebietes, sondern auch chthamali, » die niedrigste im Meere „d. h. die von diesen dem Festlande am nächsten gerückte. Der Ausdruck chthamali (cdamalh) sollte » wirklich nahe am Lande « bedeuten, was nicht erwiesen ist und um so weniger, als wir im Epos das Wort andere Male in anderem Sinne gebraucht finden.
Dass Lefkas die dem Festlande am meisten benachbarte Insel ist, kann natürlich niemand leugnen. Aber selbst was dies betrifft, ist ja nur eine Seite der Insel dem Festlande so nahe gerückt, während ihr südwestliches Ende mit Cap Dukato weithin in das westliche offene Meer hinausragt.
Die Vermuthung, dass Lefkas Dulichion wäre, muss gänzlich verworfen werden, wenn sie auch wegen der Fruchtbarkeit ihres Bodens einen gewissen Anspruch darauf machen könnte, da sonst die Lage der Inseln ganz unwahrscheinlich verrückt wird.
Wir wollen nun die übrigen Punkte, die in der Lefkas-Ithaka-Frage für und gegen in Betracht kommen, einer näheren Erörterung unterziehen.
Dass Ithaka eine Insel war, ist kein Zweifel.
Antinous, einer der Freier, sagt dem Irus, dass wenn er sich von dem Bettler besiegen lässt, er auf einem Schiff zum Könige Echeitus auf dem Festlande geschickt werden wird, der ihm Nase und Ohren abschneiden wird. Dass Ithaka bei Samos gelegen war, ergibt sich klar aus dem Passus, in welchem Antinous die Freier um ein Schiff und zwanzig Gefährten ersucht, um Telemachos in der Enge zwischen Same und Ithaka auf seiner Rückkehr
von Pylus zurückzuhalten. Dieselbe Enge wird von Athene erwähnt, als sie ihm sagt, dass die Tapfersten der Freier auf ihn in der Enge zwischen Ithaka und Same lauern. Ueber diese Enge verkehrte eine öffentliche Fähre zwischen der Stadt Ithaka und irgend einer Stelle der Insel Same; über dieselbe bringt. Philoitios Ziegen für die Freier, welcher das Vieh im Lande der Kephallenen schon als Knabe unter seiner Obhut hatte.
Was vor allem die am meisten nach Westen gerichtete Lage des homerischen Ithaka betrifft, so passt dies am besten auf Lefkas, wenn man dara.n festhält, dass die antiken Völker den Nordwesten zum Westen zählten, nämlich die Weltgegend, in der die Sonne zur Rüste ging. Im Sommer geht nun die Sonne auf Ithaka thatsächlich 1m Nordwesten unter. Stellt man sich aber auf die Höhen des Oxoyfberges und blickt gegen Westen, so sind Cephalonien, Ithaka und Lefkas mit ihren Endspitzen so ziemlich auf gleiche Weise gegen diese Weltgegend orientirt.
Der Einwand, dass das Hinüber- und Herüberbringen des Viehs bei der Lage des heutigen Ithaka seine Schwierigkeiten gehabt hätte, ist durch die örtlichen Gewohnheiten gänzlich widerlegt. Was die einzelnen zu Gunsten Lefkas angeführten Gründe betrifft, wie dies in erster Reihe die Lieferung von Schlachtvieh für die Freier aus dem Festlande bildete, mochte der Transport des Viehes damals ebenso gewöhnlich und leicht ausführbar gewesen sein, wie heutzutage. Auf den griechischen Inseln ist es etwas ganz Gewöhnliches, Vieh von einer Insel zur anderen in Booten zu transportiren, theils um es als Schlachtvieh zu verwenden, theils um neue Weiden zu suchen. So kommt auch das meiste Vieh aus Morea nach Zante und aus Arta und anderen Plätzen nach Ithaka. Dieser Brauch herrscht auch allgemein in ganz Dalmatien, wo man mit dem Vieh zu diesem Behufe grosse Strecken zurücklegt. Die Griechen sind so vertraut mit den Booten, in deren Benützung so geschickt, in der Kenntnis des Wetters so bewandert, dass sie nur den günstigen Wind abwarten, um ihre Herden von einer Insel zur anderen zu führen. Das Vieh selbst ist schon so daran gewöhnt, dass es willig in das Boot hineinspringt, in der Hoffnung, bei der neuen Landung ausgiebigeres Futter zu finden. Uebrigens ergibt sich aus der Odyssee nicht, dass es sich um eine tägliche Lieferung von ,Schlachtvieh aus dem Festlande gehandelt hätte und wenn man nur einen Canal zu überschreiten gehabt hätte, würde man kaum von einem Herüberschiffen des Viehes reden. Dass Arkudi, an dem die Fahrenden unbemerkt während der Nacht vorübersegeln, wegen seiner Lage, zur Identificirung mit Asteris, mit seinem Doppelhafen viel besser passe, als das magere nur 97 Meter lange, an seiner breitesten Stelle. 32 Meter breite und lediglich 2 Meter hohe Felseneiland von Daskali6, ist nicht in Abrede zu stellen. Dass es aber eine viel grössere Schwierigkeit darbot, die Ankommenden auf dem Wege von Pylus nach Ithaka zu beobachten und zurückzuhalten, im breiten Sunde, wo Arkudi liegt, auf welchem sie verschiedene Wege hätten einschlagen können, als wie von dem Daskaliofelsen aus im engen Canal von Viscardo, steht sicher, und eigentlich sind beide Inseln hafenlos, wenn auch bei Arkudi die vortretenden Spitzen die Landung erleichtern.
Aber der Dichter kann ja, wie es so häufig der Landschaftsmaler thut, die Bilder einer Ortschaft auf die benachbarten übertragen haben; auch steht die Vermuthung offen, dass das wahre Asteris in Folge der vielen Erdbeben verschwunden sei.
Nebenbei sei bemerkt, dass der Name Daskalio,den Partsch von Scoglio ableiten will, wiederholt in griechischen Gewässern vorkommt, wie auch bei den benachbarten Daskaliafelsen im Süden von Antipaxos. Eigenthümlicherweise kommt der Name Le scuole an den italienischen Küsten für Riffe, auf welchen das Meer brandet, vor. Könnten denn nicht beide Namen aus derselben Idee entstanden sein, das Getöse des Meeres mit dem Lärmen einer Schule zu vergleichen?
Die Angabe, dass der Berg Ithakas weit sichtbar sei, passt zweifelsohne besser auf den 1.141 Meter hohen Stavrotas, als wie auf den nur 807 Meter hohen Berg von Anoyf, während die Bezeichnung» umringt von Inseln für das jetzige Ithaka besser zutrifft als für jede andere Insel.
Es kommen noch zu Gunsten des jetzigen Ithaka die verschiedenen Epitheten hinzu, mit denen Ithaka bezeichnet wird als: »rauhe, felsige, für Pferde und Fuhrwerke ungeeignete«, welche auf keine andere der ionischen Inseln so gut wie auf das heutige lthaka passen.
Menelaos offerirt Telemachos als Gastgabe drei Pferde und einen polirten Karren, die dieser jedoch ablehnt, weil keine der Inseln zum Fahren mit Pferden geeignet sei und am allerwenigsten Ithaka.
Lefkas besitzt doch ausgedehnte Ebenen und zieht man auch den Vergleich mit den grossen Ebenen des Festlandes, um die Eignung für Pferdezucht in Abrede zu stellen, so muss man doch zugeben, dass Lefkas mehr flachen Boden besitzt wie alle anderen benachbarten Inseln und im nordöstlichen Theile von Lefkas ist eine fruchtbare gutbewässerte Ebene, 4 Kilometer lang und 1 bis 21/2 Kilometer breit.
Die Paarung von Same und Dulichion passt ganz sicher trefflich zu der von Ithaka und Cephalonien eingenommenen Lage, und es kann nicht geleugnet werden, dass dies ein Anhaltspunkt dafür sein könnte, um in Lefkas das alte Ithaka zu erblicken. Vielleicht aber ist gar nicht betreffs Same und Dulichion an Ithaka zu denken, sondern, wie wir früher erwähnten, an Cephalonien und dessen nordwestlichen Theil, die Halbinsel Paliki.
Wenn nun auch die Grösse der Inseln nicht gerade ein Beweis für die Ausdehnung ihrer Bevölkerung ist, so bleibt es dennoch auffallend, dass eine so grosse Insel wie Lefkas, wenn sie das alte Ithaka sein sollte, eine so geringe Zahl von Freiern geliefert hätte. Diese geringe Zahl passt aber vortrefflich für das wenig ausgedehnte und mithin auch wahrscheinlich wenig bevölkerte, jetzige Ithaka.
So sieht man, dass je nach der Deutung, die man mehr oder minder verschwommenen Angaben gibt, die eine Annahme als die wahrscheinlichere bezeichnet werden kann.
Alle wichtigeren Momente, wenn man sie mit unparteiischen Augen beurtheilt, sind aber leichter dem jetzigen Ithaka wie dem als Ithaka vermutheten Lefkas anzupassen. Die mehr westliche Lage und die grössere Nachbarschaft zum Festlande bleiben, wenn man dieselbe als eine der vier grossen Inseln annimmt, die Hauptgründe gegen diese Annahme.
Alle übrigen Gründe, die auf der Uebereinstimmung der homerischen Landschaftsschilderungen mit den Oertlichkeiten des heutigen Ithaka beruhen, sind nebensächlich, denn die Worte des Dichters sind vage gehalten und passen ebenso auf Ithaka wie auf Lefkas, die Topographie dieser Inseln ist ja sehr ähnlich.
Dass sich der Vlichohafen, so geschützt, wie kaum ein anderer in der Nachbarschaft, mit seinen sanftansteigenden Ufern, die es leicht möglich machten, Boote ans Land zu ziehen, zum Hafen der grossen Polis eignete, wofür die angrenzende weite Ebene von Nidrf breiten Raum gewährte, ist nicht zu leugnen, ebensowenig, dass die reizenden Inseln, die ihn umgeben, seine Vertheidigung erleichterten.
Die Ebene von Nidri scheint sicher ehedem eine Ansiedlung gehabt zu haben; sie war hierzu wie geschaffen. Grabungen haben auch thatsächlich Ueberreste alter Wohnstätten zutage gefördert. Damit ist jedoch gar nicht dargethan, welcher Ansiedlung diese Reste angehörten, am allerwenigsten, dass dort die Hauptstadt dieses Inselreiches war. Eine Ueberraschung von der Landseite wäre eine immer drohende Gefahr gewesen, ja sogar Veranlassung, bei der Flucht Vor den Doriern die Ansiedlung aufzulassen. Aber diese Gefahr war vorauszusehen, und es ist kaum anzunehmen, dass sich ihr ein schlaues Seevolk willig ausgesetzt hätte, wenn in unmittelbarer Nähe ein sicherer Platz vorhanden war. Von all den vielen Gründen, die pro und contra angeführt werden können, scheint mir dieser einer der ausschlaggebendsten zu sein. Man müsste vermuthen, dass in der mykenischen Periode stets Frieden herrschte und dass die Inselvölker mit jenen der Festlandsküste in freundschaftlichem Einvernehmen standen.
War nun einmal die Identität des homerischen Ithaka mit dem jetzigen in Zweifel gestellt, so wurde wieder andererseits die alte Ansicht mit einer gewissen Animosität vertheidigt, ohne dass man die Richtigkeit gewisser Einwände anerkennen wollte. Hartnäckig wurde an jeder auch ganz unwichtigen Kleinigkeit festgehalten, angeblich, um mehr für die bisherige Annahme sprechende Gründe ins Treffen schicken zu können. So entstand binnen wenigen Monaten eine ganze Reihe von Broschüren, die das Thema pro und contra behandelten. Jedenfalls hatten sie ein Gutes: sie erörterten nicht bloss die Identitäts-Frage, sondern sie beleuchteten auch gewisse dunkle Punkte und trugen mächtig dazu bei, dass gar manches Räthsel seine Deutung fand. Wer diesen ganzen Streit verfolgen will, wird in der Bibliographie die Angaben der einzelnen Quellen finden.
Namentlich war in Goesler’s Buche alles, was zu Gunsten der Dörpfeldschen Theorie gesagt werden kann, vereinigt und in Michael und Manly, insbesondere in dem letzteren, eine gute Zusammenstellung aller für Ithaka günstigen Momente, die PavIatos schon vom Anfange in seiner Abhandlung eifrig vertheidigt hatte, verfasst.
Bemerkenswerth ist es, dass diejenigen Menschen, die am längsten auf Ithaka weilten und mithin am besten die Worte des Epos mit der Natur vergleichen konnten, für die Identificirung des jetzigen Ithaka mit dem homerischen waren, während diejenigen, die blos das Epos und die Insel wenig oder gar nicht kannten, sich unter die Gegner reihten.
Die Erosion des dortigen Steinmaterials macht ein Erhaltenbleiben von Bauten aus der homerischen Zeit bis zum heutigen Tag unmöglich.
Ich musste lächeln, als man mir an einem einsamen Pfade, der an der Westküste der Insel zu den bebauten Gründen von Sakkos führt, ein in den Fels gehauenes Delta zeigte, das die Archäologen der mykenischen Zeit zusprechen. In jener Epoche eingemeisselt, wäre es kaum dreihundert Jahre kenntlich geblieben, zufolge der Verwitterung des weichen Gesteines, die der Westwind, die Sonne und die Regengüsse verursacht hätten. In dem fraglichen Delta hat man vielmehr die Namensinitiale irgend eines Besitzers Dionysios oder Dimitri zu erkennen und der Felsen war lediglich ein Grenzstein im verlassenen Buschwald.
Reste antiker mykenischer Bauten können lediglich an jenen Stellen vorhanden sein, wo durch die Abschwemmung der Gewässer Verschüttungen stattfanden oder durch sismische Wirkung Senkungen eintraten, welche dann der umgebende Boden allmählig zudeckte.
Wir wollen nun sehen, welche derartigen Plätze für Ausgrabungen am geeignetsten wären.
Die sattelartige Einsenkung von Stavr6s, die sich zwischen der hohen Masse des Anoyfberges, des kuppenartig emporragenden Oxoyfberges und des Marmakavorsprunges hinzieht und durch die dreifache Einbuchtung von Polis, Afales. und Frikes umsäumt wird, vermag dank ihres lehmigen Bodens und der Anschüttungen, die dort stattfanden, am leichtesten dem Archäologen etwas darzubieten. Sie ist auch die Oertlichkeit, wo sich die sichtbaren wichtigeren Reste, den Aetos ausgenommen, erhalten haben, die freilich alle anscheinend römischen oder wenigstens spätgriechischen Ursprungs sind. Die Anschüttungen scheinen jedoch nicht bedeutend gewesen zu sein, denn überall, wo man gräbt, findet man die Reste alten Gemäuers nur wenig unter der Oberfläche des jetzigen Erdbodens, ja einige, wie gerade die bemerkenswertheren bei Ayos Athanassios, ragen sogar aus dem Boden empor. Eine ziemlich reiche Fundgrube für kleine Thongefässe und verschiedene Scherben von grösseren Gefässen sind die Brunnen, von denen mehrere antiken Ursprunges sind. In ihrem schlammigen Grunde, durch Lehm verdeckt, haben sich diese Thongefässe trefflich erhalten und sind beim Reinigen der Brunnen nach Jahrhunderten, mehrfach sogar unbeschädigt herausgezogen worden.
Eine andere Einsenkung, in der vielfach römische Reste gefunden wurden, ist die am Fusse des Aetoshügels, auf beiden Seiten des Sattels, über welchen der Fahrweg nach Pisso Aetos führt und auf welchem das Haus Ferendinos steht. Namentlich sind mehrere Inschriften dort gefunden worden.
Eine dritte Stelle, aber mit üppigem Erdreich und wohlbebaut, ist jene von Kampos hinter der Stadt Vathy, an welcher bisher, ein Paar Versuchsbrunnen ausgenommen, keine Ausgrabungen veranstaltet wurden. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass man auf ältere Ueberreste stossen .würde, wenn man hier graben wollte, denn es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass in antiker Zeit auch dieser bevorzugte Platz bewohnt sein musste.
Die Hauptschwierigkeit bei allen diesen Grabungen ist das Beseitigen des mit reicher Cultur besetzten Bodens, der auf die der alten Periode angehörenden Schichten auflagert, wodurch riesige Expropriationskosten entstehen. Besonders gross ist diese Schwierigkeit in der üppigen Ebene von Nidri auf Lefkas, wo der angeschwemmte Boden oberhalb des Niveaus, in welchem man mykenische Scherben vorfindet, eine Dicke von drei Metern, ja an manchen Stellen noch darüber erreicht.
Würde man aber auch dort, wo Anschüttungen vorhanden sind, graben, was könnte man schliesslich entdecken? Wir wissen ja, dass diese Insel in der mykenischen Periode bevölkert war, und wie liesse sich aus einer Epoche ohne Inschriften die Identität einer Ansiedlung mit der homerischen Polis darthun? Mit welchem Rechte dürfte man ein grösseres Gebäude, falls ein solches zu Tage käme, als den Palast des Odysseus. bezeichnen? Vielleicht war die Behausung der homerischen Hirtenkönige ganz und gar einfach – und darin haben wir eine Bestätigung im Homer selbst, wenn wir die Verwunderung des Telemachos über den Reichthum anderer Paläste lesen – vielleicht zum grössten Theile aus Holz gefertigt, vielleicht war all die Herrlichkeit, von der der Dichter erzählt, nur ein Gebilde seiner Phantasie. Ich habe oft daran gedacht, dass diese kleinen Könige der alten Welt ungefähr das waren, was die jetzigen Könige zahlreicher Inseln der Südsee sind: Häuptlinge, denen durch ihre Mittel eine gewisse Oberhoheit über die Nachbarn verliehen war, bis sie schliesslich zu Herrschern, zu deren Königen erwuchsen.
Es gibt auf Ithaka einen alten Mann, den die Leute den Archaeologos nennen; er glaubt zu wissen, wo der Palast des Odysseus stand, wo dessen Grab liegt, und träumt davon, dass Jemand kommen wird, dem er sein Geheimnis mittheilen könne, um mit ihm zu graben und die entschwundenen Herrlichkeiten zu entdecken. So zeigen sich ihm Visionen zukünftigen Reichthums und, als mir seine alte Frau russgeschwärzte römische Grabreliefs zeigte, die sie in ihrem Häuschen verborgen hält, hoffte sie mit selbstbewusstem Lächeln, mir die ersten Winke zur Auffindung des vergrabenen Schatzes gegeben zu haben. Der gute Mann versuchte mich mehrmals zu überreden, ich solle nachts mit ihm gehen, damit er mir die bisher von niemandem gekannte Stelle zeigen könne, ich aber dankte stets dafür.
Eines Tages sass er sinnend auf einem Felsen, während ich zeichnete, hoch oben, auf einer der Höhen Ithakas. Da fragte ich ihn plötzlich: „Glauben Sie denn wirklich an das Odysseusschloss und das Odysseusgrab, das Sie auffinden wollen?“ Er überlegte und sagte dann: „ Ja, mein Herr. Wie soll ich nicht daran glauben, wenn mirs alle Leute seit Jahrzehnten in den Kopf setzen?“
Aehnlich wie dem alten Manne auf Ithaka ergeht es auch manchen Gelehrten. In ihrer warmen Stube träumen sie von Entdeckungen und Funden, wo der felsige Boden keine Anschüttung zulässt, wo der Wind und Regen schon seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden alles weggefegt hat, was dort einmal gebaut war. Aber darum kümmere man sich nicht. Man geniesse die Schönheit dieser Landschaften, man bedenke, dass sie es waren, welche die Odyssee schufen. Man erblicke den Garten des Laertes, wo es einem beliebt, die Arethusa, wo immer eine Quelle rieselt, und die treue Penelope in jedem braven Weibe, dessen Gatte, ein Bewohner dieser Berge, zur See kämpft.
Eine wahre Lösung der Frage wird sich nie finden können, alle Funde werden keine Beweise liefern können, zu Gunsten der einen oder anderen Annahme.
Gehen wir von dem Standpunkte aus, dass Ithaka das alte sei, so sind mehrere Plätze zwar nicht mit Sicherheit zu identificiren, doch ihrer Aehnlichkeit mit der Schilderung und ihrer Eignung wegen mit Wahrscheinlichkeit festzustellen. Der kleine, abgeschlossene, gegen Südwesten gelegene Hafen von Andri wird als der wahrscheinliche Landungsplatz des Telemachos angesehen. Nimmt man an, dass die Hauptstadt der Insel im Norden gelegen war, so stimmen auch so ziemlich die im Epos angegebenen Distanzen. Dabei muss man sich gegenwärtig halten, dass von den Höhen von Marathia, welches trefflich der Schilderung von Eumaeus Wohnplatz entspricht, über Perachorio ein Pfad am Gebirgsabhange hin gegen den Hügel von Aetos führte, von dem noch Spuren zu sehen sind. Aus welcher Epoche dieser Weg stammen mag, den hin und wieder künstlich gelegte Platten oder in den Felsen gehauene Stufen bequemer gangbar machen, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich ist er aber so alt wie die ersten Menschenansiedlungen auf dem Eilande, denn es liegt nahe, anzunehmen, dass man gleich im Anfange bestrebt war, den Zusammenhang zwischen dem südlichen und nördlichen Theile der Insel, wenn auch nur für Fussgänger, thunlichst zu erleichtern.
Der Hafen von Andri ist wie geschaffen, um in vollkommener Einsamkeit, im Angesichte des in schönsten Umrissen sich zeichnenden Cephalonien von jener Jahrtausende zurückstehenden Epoche zu träumen. Besonders eignet er sich auch zu unbemerkter und unbelauschter Landung auf der Insel, um zu den bestehenden Ansiedlungen zu gelangen.
Wenn die Sonne gegen Westen sinkt und tiefer Schatten sich über dem Hafen ausbreitet, dann steigt Bild auf Bild in der Phantasie empor. Gerne denkt man sich den Jüngling, der durch das langgezogene, tiefe Thal hinaufwanderte. Wie musste er in seinem Herzen aufjauchzen, als er von der Höhe zum erstenmale wieder den Blick in die Tiefe gegen den mächtigen Hafen tauchte, und wie erst musste er jubeln, als er auf steilem Pfade die Nachbarschaft des Aetoshügels erreichte.
Dunkelt es in Andri, zittern die Kronen des Buschwaldes bei der von der Höhe und durch das ThaI herabziehenden Landbrise, dann wird einem ganz seltsam zu Muthe. Man glaubt wirklich in jene Vergangenheit versetzt zu sein, und es ist, als hörte man im Gemurmel des Meeres die Stimmen der landenden Männer, die dann mit dem leeren Schiffe zu dem Hafen der Stadt ziehen.
Ausser dem Platze, wo Telemachos auf seiner Rückkehr von Pylos landete und der nicht genannt wird und dem Hafen der Stadt gibt es noch zwei Häfen, Rheitron und Phorkys. Der Rheitron, am Fusse des Neion gelegen, ist der Hafen, wo Athene als Mentor landete und könnte vielleicht in Frikes gesucht werden.
Die wahre Lage der Phorkysbucht, wo die Phäaken Odysseus ans Land setzten, wie sie ihn von Scheria brachten und von der schon früher die Rede war, ist eine vielfach bestrittene. Einige wollen sie in der tiefeingeschnittenen Einbuchtung von Frikes erkennen und glauben in der Namensähnlichkeit einen Anhaltspunkt hiefür zu besitzen, andere meinen, die Phorkysbucht sei ohne jeden Zweifel keine andere, als der grosse Vorhafen von Aetos mit dem Innenhafen von Vathy, eine Ansicht, die in neuerer Zeit zwar mehr Wurzel zu fassen scheint, und der die homerische Angabe, dass von demselben der Neriton sichtbar ist, entspricht, die aber mit der Annahme einer im Norden gelegenen Hauptstadt nicht mehr gut zusammenpasst. Auch kann durch dichterische Licenz die Nymphengrotte aus dem benachbarten Sarakiniko, deren theils eingestürzte Wölbung sicher einstens viel grösser war und in der auch Wasserdurchsickerungen vorkommen, zu diesem Ufer übertragen worden sein. Genau so geht es bei allen diesen mehr oder minder fictiven Identificirungen vorhandener Oertlichkeiten mit den in der Odyssee geschilderten. Kaum rückt man mit einem Punkt, so muss man auch alle übrigen verschieben, während doch dieser wohlgeschützte Hafen am besten der homerischen Schilderung entspricht.
Weit mehr als die Reste römischer Bauten und die verschiedenen archäologischen Funde spricht das Vorhandensein der reichhaltigen Quelle von Kalamos, der einzigen auf der Insel, welche den Bedürfnissen einer grösseren Bevölkerung genügen konnte, für die Annahme, dass die Hauptansiedlung im Norden des Eilands lag und die so gut der homerischen Schilderung entspricht, dass bei der Stadt eine Quelle von herrlichem Laut war, von welcher die Städter ihr Wasser bekamen; Ithakus, Neritus und Polyktor bauten sie. Die Existenz dieser Quelle musste den alten Bewohnern bei der Wahl des Ortes für ihre grosse Niederlassung massgebend sein, namentlich in einem Lande, wo Erdbeben vorkommen, durch die dann die erbauten Cisternen wiederholt zu Folge plötzlich entstehender Risse wasserlos bleiben. Die Fruchtbarkeit des Bodens der ganzen Umgebung von Stavros, der für die Cultur geeigneter ist als alle anderen Theile der Insel, namentlich aber die Thatsache, dass dieser Platz dank der dreifachen benachbarten Einbuchtungen vom Meere aus leicht erreichbar ist, sprechen für die Wahl der Abhänge bei Stavros zur odysseischen Hauptstadt. Auch entspricht die Nachbarschaft des Hafens der im Epos geschilderten und dass er flache Ufer besass, auf welche Schiffe hinaufgezogen werden konnten, wie es noch heutzutage geschieht. Die Anmuth der Lage mag auch nicht wenig zu dieser Wahl beigetragen haben; bestimmend war gewiss vor allem die Möglichkeit leichter Vertheidigung und die Bequemlichkeit, mit der man von den benachbarten Höhen nach nahenden Gefahren auslugen konnte. Auch die Nähe des Meeres war eine Hauptbedingung für ein maritimes Volk. Schliesslich konnte man für die Errichtung einer grossen Ansiedlung keinen hinsichtlich seiner genügenden Flächenausdehnung geeigneteren Platz finden, ausgenommen die Verflachung von Kampos im Rücken von Vathy. Sonst gibt es nur steile Ufer oder die Insel taucht mit Abstürzen ins Meer. Was in der Verflachung von Kampos lag, ist unbekannt. Sicher gab es aber auch da eine bedeutende Ansiedlung, denn man wird, wie wir schon erwähnten, so günstige Bedingungen, welche die natürliche Lage darbot, wohl nicht unbenützt gelassen haben.
Der Hügel von Aetos und der Paleokastro bei rolis beweisen, dass schon in alten Tagen die Bewohner Ithakas die Vortheile dieser Situationen erkannten. Wenn auch die Reste ihrer Gemäuer einer viel spateren Zeit angehören, so ist damit gar nicht gesagt, dass nicht an deren Stelle schon früher ältere Vertheidigungswerke standen. Vom Aetos überwachte man nicht nur einen grossen Theil des Canals von Viscardo, sondern auch die Hafeneinfahrt des weiten Hafens von Vathy und den Golf von Aetos; von der Höhe des Oxoyf-Berges überschaut man die dreifache Einbuchtung von Polis, Afales und Frikes.
Jedem Volke, welchem die Vertheidigung der Insel am Herzen lag, musste nothwendigerweise der besonders günstig gelegene Aetosberg auffallen, als hervorragend geeignet, um dort die bedeutendste Feste zu erbauen und jedermann, der zum erstenmal auf den Aetos hinaufsteigt, wird von dessen beherrschender Lage förmlich überrascht. Seine Lehnen sind überdies so steil, dass die befestigte Höhe leicht durch einfaches Herabrollen von Steinen zu vertheidigen war, ja, wenn es an solchem Materiale nicht fehlte, war sie kaum zu erstürmen.
Wenn auch die jetzigen megalithischen Reste einem späteren Alterthume angehören, wenn auch am Fusse des Berges römische, ja byzantinische Ruinen zu finden sind, so ist doch nicht ausgeschlossen, dass schon zur mykenischen Zeit dort eine Burg stand:
Es ist überhaupt auffallend, wie in der ganzen antiken Welt von der Natur bevorzugte Stätten immer und immer wieder von den einander folgenden Völkerschaften zu gleichen Zwecken gewählt wurden. So trägt die Akropolis von Städten Denkmäler, die einander der Reihe nach folgen, so geht es mit den Heiligthümern, die einsam auf hohen Bergen ragen: ein Tempel ersteht dort nach dem andern.
Der mehrfach erhobene Einwand, den wir schon zu erwähnen Gelegenheit hatten, dass der Raum für eine Stadt zu gering war, findet seine Widerlegung in dem Umstande, dass die Städte jener Zeit wahrscheinlich übereinander aufgebaut waren, ähnlich wie dies bei den hochgelegenen Bergortschaften Calabriens der Fall ist. Hier schmiegt sich Haus an Haus, eins fast stufenartig über dem anderen gebaut, damit auf möglichst geringem Raume die grössterreichbare Zahl von Behausungen geschaffen werde. Wenn wir anderseits der heutzutage allgemein verbreiteten Annahme beipflichten, dass die Hauptstadt des Odysseus auf den Abhängen bei Polis lag, während neulich Manly sich wieder dieser früheren anschliesst, so ist von den Lehnen von Kalivia bis zu dem Strande von Polis genügend Raum auch für eine reichbevölkerte Stadt. Aber auch alle Vermuthungen betreffs ihrer Grösse beruhen lediglich auf den vielleicht vergrössernden Schilderungen des Dichters. Dort, wo jetzt die Rebe mit langen Trieben in der Mittagsbrise tanzt, waren wohl einstens zahlreiche Behausungen. Die tiefen Brunnen, die sich noch erhalten haben, dienen als stummes Zeugnis hiefür, ganz abgesehen von den Thonscherben und Münzen, die der Landmann bei der Bearbeitung jener Gründe fortwährend als Erinnerungen an die früheren Bewohner ans Tageslicht bringt.
Nicht ganz zu verwerfen ist auch die Autorität der Tradition. Ithaka führt seinen Namen schon seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. Dass eine Begebenheit durch Jahrhunderte auf ein und dasselbe Eiland bezogen wird, während es ebenso leicht gewesen wäre, eine andere Insel in Betracht zu ziehen, das ist ein Moment, welches doch zu beherzigen ist. Wie der Epheu an den Felsen, so schmiegt sich auch die Tradition des Volkes, wenn sie sich auch auf halb sagenhafte Begebenheiten bezieht, an einen bestimmten Ort, mit hundertfachen Wurzeln, die der Zeit trotzen und nicht so leicht zu beseitigen sind und hier können sie am allerleichtesten erhalten worden sein, namentlich wenn man berücksichtigt, dass diese Insel stets in unmittelbarer Nähe grosser bevölkerter Städte des Alterthums war. Die Details können verschieden angegeben werden, die Erinnerung mag mehr oder minder verdämmern, aber die Hauptbegebenheit bleibt fest und ist nicht leicht von ihrem Platze zu entwurzeln.
Die Bewohner Ithakas können getröstet bleiben, es werden noch viele Jahrhunderte vergehen, dass trotz der im ersten Augenblick bestechenden neuen Ansichten viele Leute zu ihrer Heimat-Insel andächtig pilgern werden, wie sie es schon seit Jahrtausenden gethan haben, mit der unerschütterten Ueberzeugung, sie sei die Heimat des Odysseus.
Dr. Wilhelm Dörpfeld war so freundlich, die Resultate seiner Grabungen auf Ithaka sowie auf Lefkas für mich zusammenzustellen und mir die Veröffentlichung dieser Arbeit zu erlauben. Er schliesst seine Auseinandersetzungen mit einem kurzen Abriss seiner Lefkas- Theorie. Ich lasse seine Ausführungen hier folgen, damit der Leser, der diese Theorie nicht genau vor Augen hat, sich dieselbe vergegenwärtigen könne. Der Unbefangene wird dann nach eigenem Ermessen urtheilen.
Hier das Manuscript Dr. Dörpfelds:
»Seit vielen Jahren war es mein Wunsch, auf Ithaka nach dem Palaste des Odysseus zu suchen. Schon im Jahre 1884, als ich mit Schliemann in Tiryns grub, wurde oft über eine Ausgrabung in Ithaka gesprochen; aber erst während der letzten Grabung Schliemanns in Troja im Jahre 1890 wurde der bestimmte Plan einer grösseren Ausgrabung in Ithaka gefasst. Der allzufrühe Tod des glücklichen Entdeckers so vieler homerischen Bauwerke hat aber diese Pläne zerstört. Erst im Jahre 1898, als ich nach einer Bereisung der Insel mit Dr. A. Wilhelm, in einem in Athen gehaltenen Vortrage Ausgrabungen nach dem Palaste des Odysseus ankündigte, fand sich ein neuer Mäcen, der Holländer A. E. H. Goekoop, der mir gütigst die Gelder für diese Arbeit zur Verfügung stellte.
Im März 1900 habe ich dann mit den Herren Goekoop und Preuner eine Woche lang Ausgrabungen in Ithaka vorgenommen. Wir untersuchten in erster Linie die Umgebung des Dorfes Stavros im nördlichen Theile der Insel, weil diese Stelle unseres Erachtens allein für den Palast des Odysseus in Frage kam. Dort hatten früher auch M. Leake, J. Partsch und andere Gelehrte diesen Palast angesetzt. Es galt festzustellen, ob oberhalb der Bucht von Polis irgend welche Reste der mykenischen Zeit erhalten wären. Wir gruben desshalb an mehreren Stellen des Höhenzuges, auf dem jetzt das Dorf Stavros liegt, ferner bei der sogen. Schule Homers und in der Nähe der sogen. Quelle Melanhydros.
Am genauesten wurde das Plateau oberhalb von Stavros untersucht, das als Besitz der Familie Pilikas jetzt Pilikata heisst. In mehreren Gräben und Löchern, die bis zum gewesenen Boden ausgehoben wurden, kamen nur griechische und jüngere Topfscherben zu Tage. Neben der gewöhnlichen unbemalten Waare fanden sich Scherben mit Malerei der verschiedensten Art aus der Zeit vom VI. oder VII. Jahrhundert v. Chr. bis zur römischen Epoche. Von mykenischer oder prähistorischer Topfwaare kam nichts zum Vorschein. Wir durften und mussten daraus schliessen, dass an den Stellen, wo wir gegraben hatten, die Stadt Ithaka und der Palast des Odysseus nicht gelegen haben könne.
Die weitere Ausgrabung an der sogen. Schule Homers zeigte ferner, dass dieser unter einer Kirche des Hag. Athanasios gelegene antike Bau wahrscheinlich dem VI. oder V. Jahrhundert v. Chr. angehört. Die grossen Quadern eines brecciaartigen Kalksteines, aus denen die noch aufrechtstehenden Mauern bestehen, haben senkrechte und schräge Stossfugen und waren mit schwalbenschwanzförmigen Klammern verbunden, wie sie in ähnlicher Form bei mehreren aus jener Zeit stammenden Thesauren von Olympia vorkommen. Zahlreiche Dachziegel der griechischen und römischen Epoche wurden gefunden. Der Grundriss ist noch nicht vollständig bekannt. Durch die Grabungen ist jedoch festgestellt, dass an den etwa 8 m langen und 4 m breiten Raum, in dem die Kirche eingerichtet ist, sich nach Osten zwei andere Räume anschlossen. Gestattet der Grundriss auch kein bestimmtes Urtheil über den Zweck des Gebäudes, so dürfen wir aus dem Vorhandensein mehrerer nebeneinander liegender Räume wenigstens den Schluss ziehen, dass der Bau schwerlich ein Tempel gewesen ist. Inschriften oder andere Gegenstände, die über seinen Zweck Auskunft geben könnten, sind nicht zu Tage gekommen. Reste prähistorischer oder mykenischer Zeit fanden sich weder‘ hier, noch bei anderen in der Nähe unternommenen Grabungen.
Ein Heiligthum, das ganz ausgegraben zu werden verdiente, konnten wir westlich von Stavros unten an der Bucht von Polis feststellen. Es liegt am Fusse des an der Nordseite der Bucht ins Meer hinausspringenden Berges, auf dem eine kleine antike Burg liegt. Nach Aussage der Bewohner sind dort unter den abgestürzten Felsen alterthümliche Vasen und Bronzen gefunden worden. Auch wir haben bei kleinen Nachgrabungen, die wir dort anstellten, Fragmente archaischer Vasen gesammelt. Es handelt sich um ein Grottenheiligthum, das von einstürzenden Felsen verschüttet ist. Reste mykenischer Alterthümer traten auch hier nicht zu Tage.
Dasselbe gilt auch von der kleinen Festung, welche auf dem nördlich über der Bucht von Polis gelegenen Berge in geringen Resten erhalten ist. Ihre Mauern sind polygonal und stammen daher nicht aus mykenischer, sondern aus guter griechischer Zeit. Dazu stimmen auch die Vasenscherben, die bei kleinen Grabungen im Innern und Aeussern der Ringmauer zu Tage kamen. Die Burg bildete vermuthlich die Zufluchtstätte für die offene alte Stadt, die sich vom Hafen bis nach Stavros hinaufzog.
Eine grössere Festung liegt weiter südlich auf dem Aetos, dem 380 m hohen Berge, der die beiden Hälften der Insel Ithaka mit einander verbindet. In ihr sah zuerst Gell die homerische Stadt Ithaka und glaubte auch den Palast des Odysseus noch erkennen zu können. Hier hatte auch Schliemann 1878 seine Grabungen vorgenommen, und war der Ansicht Gells beigetreten. Hier oder wenigstens in der Nähe setzt neuerdings auch der Amerikaner Manly die Stadt Ithaka an. Wir haben auf dem Aetos und an seinen Abhängen nicht gegraben, weil unseres Erachtens nach den Angaben Homers hier die Stadt Ithaka unmöglich gelegen haben kann. Denn diese denkt sich der Dichter in einer Ebene an einem tief ins Land einschneidenden Hafen, nicht auf einem hohen Isthmos mit Häfen auf zwei Seiten. Auch mehrere andere Angaben des Dichters lassen sich nicht mit dieser Lage in Einklang bringen. Ich hatte schon in früheren Jahren die Burg auf dem Aetos und ihre Mauern untersucht und damals gesehen, dass es sich um eine griechische Bergstadt handelt, die etwa vom VII. oder VI. Jahrhundert ab hier bestanden hat. Die zum Theil sehr gut erhaltenen Mauern gleichen in ihrer Bauart sehr der Ringmauer von Leukas, die zweifellos von den Korinthern im VII. Jahrhundert v. Chr. erbaut ist. Da aber auch im V. Jahrhundert noch ähnliche polygonale Stadtmauern errichtet worden sind (z. B. in Athen und Eleusis), so können die Mauern von Aetos auch jünger sein als die von Leukas. Unter zahllosen Topfscherben, die ich am Abhange des Berges habe sammeln lassen, befand sich kein einziges Stück, das sicher älter als das VII. Jahrhundert gewesen wäre.
Die verschiedenen Ausgrabungen, die wir im Jahre 1900 auf dem heutigen Ithaka vorgenommen haben,. hatten nicht den allgemeinen Zweck, auf der Insel nach Resten mykenischer Zeit zu suchen, denn dann würden wir an solchen Stellen gegraben haben, an denen für jene ältere Zeit Ansiedelungen zu erwarten sind, so namentlich an dem besten Hafen und in der grössten Ebene der Insel bei der heutigen Hauptstadt Vathy. Unsere Grabungen sollten nur festzustellen suchen, ob an dem Platze, wo namhafte Gelehrte den Palast des Odysseus nach den Aussagen des Epos ansetzen zu dürfen glaubten, Reste der mykenischen Zeit wirklich erhalten seien. Das negative Resultat unserer Untersuchungen hat jener Ansetzung den Boden entzogen. Ich zweifle jedoch nicht im Mindesten daran, dass im nördlichen Theile der Insel und auch in den anderen Theilen in mykenischer Zeit Ansiedelungen bestanden haben, und dass auch Reste davon noch erhalten sind. Aber die Plätze, an denen ich sie erwarte, entsprechen nicht den Angaben Homers über die Lage der Stadt Ithaka. Als Stellen ältester Wohnplätze kommen ausser Vathy noch der Isthmos unterhalb Aetos, der Hafen von Kioni und die Gegend zwischen Frikes und Exogi in Betracht. Auch am Hafen von Polis mag schon in sehr alter Zeit eine kleine Ansiedelung gewesen sein, obwohl dort keine guten Quellen sind. Aber die Bucht und der Abhang unterhalb des Dorfes Stavros laden in der That zur Besiedelung ein. Ich selbst nehme dort diejenige Stadt Ithaka an, die nach dem Einfall der Dorer von den aus Leukas vertriebenen Ithakesiern auf der damaligen Insel Same gegründet worden ist. Diese neue Niederlassung war von ihnen nach ihrer früheren Heimath Ithaka genannt worden und hat dann später der Insel den heutigen Namen gegeben. Es würde mich daher durchaus nicht überraschen, wenn unten am Hafen oder auch oberhalb der Bucht einmal Reste der mykenischen und altgriechischen Zeit gefunden werden sollten.
Wenn ich die Ausgrabungen auf Ithaka nach wenigen Tagen unterbrach und dann seit 1901 mit den Herren van Hille, Preuner und Krüger, wiederum auf Kosten des Herrn Goekoop, auf der Insel Leukas Grabungen unternahm, so geschah es, weil ich inzwischen die feste Ueberzeugung gewonnen hatte, dass Leukas und nicht das heutige Ithaka die Heimath des Odysseus, das wirkliche Ithaka Homers sei. Ich durfte nun auf dem heutigen Ithaka nicht mehr nach dem Palaste des Odysseus suchen. Selbst wenn ich den schönsten mykenischen Palast dort gefunden hätte, würde ich ihn nicht als Palast des Odysseus, sondern als den eines Königs von Same haben bezeichnen müssen. Meine Ueberzeugung von der Identität von Leukas mit dem homerischen Ithaka ist, wie ich schon oft betont habe, nicht etwa durch das negative Resultat der Ausgrabungen auf dem heutigen Ithaka hervorgerufen worden, sondern hat sich auf Grund längerer geographischen Studien gebildet. Der Ausgangspunkt dieser Studien war die Beobachtung, dass die Insel Leukas augenscheinlich eine der vier grossen odysseischen Inseln ist, aber unbegreiflicher Weise nicht zu ihnen gerechnet wird.
Die Geographen des Alterthums und der Neuzeit können sich über die vier grossen Inseln des Odysseus nicht einigen. Leukas halten sie nicht für eine Insel und suchen daher neben Ithaka, Kephallenia und Zakynthos vergeblich nach der vierten grossen Insel, nach dem homerischen Dulichion. Leukas soll früher keine Insel gewesen und erst von den Korinthern im VII. Jahrhundert zu einer Insel gemacht worden sein. Aber ausser den Korinthern haben auch die Römer und die V enetianer, die Engländer und auch die heutigen Griechen den Canal erneuert, und trotzdem ist Leukas, auch wenn der Canal versandet war, in historischer Zeit niemals eine wirkliche Halbinsel gewesen. Sie ist stets eine Insel geblieben. Die auffallende Thatsache, dass man zur Auffindung der verlorenen vierten Insel alle möglichen unglaublichen Theorien aufstellt, nur um nicht Leukas als homerische Insel anerkennen zu müssen, erklärt sich nur aus der Furcht vor den Consequenzen. Wenn nämlich Leukas eine der odysseischen Inseln ist, so muss es nach den bestimmten Angaben des Dichters das homerische Ithaka selbst sein. Da das aber ganz unmöglich scheint, nimmt man lieber seine Zuflucht zur Annahme geologischer Veränderungen oder zu ähnlichen unwahrscheinlichen Hypothesen, als dass man Leukas als Insel anerkenne. Leukas ist aber, wie sich bestimmt nachweisen lässt, zu allen Zeiten eine Insel gewesen und zwar in alter Zeit noch mehr als heute, weil die Versandung und Verschlammung noch immer zunimmt. Ist es aber die vierte grosse Insel des Odysseus, so muss es nach den unzweideutigen Angaben des Dichters das homerische Ithaka selbst sein.
In der That passt die Schilderung, welche Homer von Ithaka und seinen Häfen, Bergen und Quellen giebt, ganz vorzüglich auf die Insel Leukas. Doch ist das meines Erachtens nicht entscheidend für die Gleichsetzung, weil die ionischen Inseln alle einen ziemlich gleichen Character tragen und daher alle mehr oder weniger dem homerischen Bilde der Insel Ithaka entsprechen. Entscheidend sind vielmehr lediglich die bestimmten Angaben des Epos über die Lage der Odysseus-Insel im Verhältnis zum Festlande und zu den Nachbarinseln.
Nach Odyssee IX., v. 21-26 ist Ithaka unter den Inseln des Odysseus die alleräusserste zum Sonnenuntergang hin und zugleich die nächste am Festlande (,,1 xsT’tat); die übrigen Inseln, nämlich Dulichion, Same und Zakynthos, liegen von Ithaka aus nach Osten und Süden und ausserdem höher im Meere, d. h. weiter vom Festlande entfernt. Diese genaue Bestimmung, die überdies durch manche indirecte Angabe des Epos bestätigt wird, lässt keinen Zweifel darüber, welche von den vier ionischen Inseln die homerische Insel Ithaka ist.
Wenn wir nämlich in Betracht ziehen, dass im ganzen Alterthume und selbst noch im Mittelalter die wirkliche Richtung der akarnanischen Küste, vor der jene Inseln liegen, nicht bekannt war, und man allgemein glaubte, dass sie vom korinthischen Golf bis Kerkyra nicht in nordwestlicher, sondern in westlicher Richtung verlaufe, so ist es sonnenklar, dass nur die Insel Leukas jene beiden Bedingungen des Epos erfüllt. Sie ist für uns die nordwestlichste, für die Alten die westlichste Insel; sie allein liegt dicht am Festlande, die anderen drei Inseln liegen weiter von der Küste entfernt, also höher im Meere. Kann es da noch zweifelhaft sein, dass Leukas das homerische Ithaka ist?
Wenn aber Leukas als Heimath des Odysseus erwiesen ist, so erkennen wir ohne Bedenken in dem heutigen Inselpaar Kephallenia und Neu-Ithaka die homerischen Inseln Dulichion und Same, die auch im Epos als zusammengehörig erscheinen; Kephallenia war offenbar das reiche Dulichion, Neu- Ithaka aber die kleine Same. Die vierte Insel Zakynthos, die südlichste, wird auch vom Dichter als letzte genannt.
Wie konnte aber der Name Ithaka von der Insel Leukas auf das heutige Ithaka übertragen werden? Das erklärt sich in der einfachsten Weise als Folge der grossen Völkerverschiebungen, die wir mit dem Namen der dorischen Wanderung zusammenfassen. Als die Dorer auf ihrem Zuge nach Süden die ursprünglich auf dem Festlande wohnenden Kephallenen zwangen, ihre Heimath zu verlassen und auf die Insel Dulichion zu fliehen, die nach ihnen später Kephallenia genannt wurde, als sie ferner die Bewohner Thesprotiens nöthigten, nach Thessalien überzusiedeln, da haben sie auch Leukas-Ithaka erobert und die Ithakesier aus ihrer Heimat vertrieben. Diese fanden auf der weiter vom Festlande entfernten Insel Same Zuflucht und gründeten dort eine neue Stadt Ithaka, nach der später die ganze Insel ihren heutigen Namen Ithaka erhalten hat. Durch die Grabungen, die wir in den letzten drei Jahren auf Leukas vorgenommen haben, ist dies Resultat in erwünschter Weise bestätigt worden. In der Ebene von Niddri, an dem vorzüglichen Hafen von Vlicho haben wir die Reste einer ausgedehnten vordorischen Stadt gefunden, deren Lage allen Angaben des Epos vollkommen entspricht. Und oberhalb dieser Ansiedelung entspringen noch jetzt am Gebirge zwei gute Quellen; das Wasser der einen wurde, wie die Grabungen gezeigt haben, durch uralte Thonrohre in die Ebene geleitet und speiste den vor der Stadt lthaka liegenden Brunnen (Gd. XVII, 2°4-2 I I), die andere heisst jetzt noch Mavroneri » Schwarzwasser ({, ist also offenbar die Quelle Melanhydros, aus der das Wasser für den Palast des Gdysseus geholt wurde (Gd. XX, I 58). Wenn dieser Palast selbst bisher noch nicht gefunden oder wenigstens noch, nicht als solcher erkannt wurde, so ist das den besonders ungünstigen Umständen zuzuschreiben, unter denen die Grabungen ausgeführt werden müssen. Die gefundene Ansiedelung, welche zahlreiche praehistorische und ganz vereinzelte mykenische oder kretische Reste enthält, liegt unter einer mächtigen, bis 5 m starken Kiesschicht unter Weinfeldern und Oelwäldern und kann daher nur mit grosser Mühe und mit hohen Kosten untersucht werden. Trotzdem werden die Grabungen fortgesetzt werden und gewiss auch noch den Palast selbst ans Licht bringen. Aber schon jetzt glaube ich es aussprechen zu dürfen, dass unsere Grabungen die theoretisch erwiesene Gleichsetzung von Leukas mit dem lthaka Homers auch practisch bestätigt haben.“
Zante, il fior di Levante – eine kleine Reise auf die Ionische Insel Zakynthos, die Ludwig Salvator 1904 einzigartig monografierte.
Das Ludwig-Salvator-Buchdigitalisierungsprojekt in Kooperation mit der Medienagentur Reithofer & Partner.
Im Frühjahr 2015 fand in Palma de Mallorca – Casal Solleric eine umfassende Ausstellung über Leben und Werk des Erzherzogs statt.
Herbert und der Archeduque – die erste deutschsprachige Filmdokumentation über EH Ludwig Salvator (1983).