ERZHERZOG LUDWIG SALVATOR Der Prinz des Mittelmeeres
Druck und Verlag: Heinrich Mercy Sohn , Prag
Erschienen: 1870
98 Seiten, 7 Abbildungen (Fotografien von Originalskizzen)
Tagebuchartige Beschreibung eines Besuches in Tunis, bei dem der 23-jährige Ludwig Salvator „im Gewühl der Menge“ skizzierte und seine Eindrücke spontan „in ungeschminckter Ursprünglichkeit belassenem Text“ zu Papier brachte.
„Ruhe und Stille herrschten ringsumher; das gewohnte Plätschern der Ruder und das muntere Geschrei fröhlicher Matrosen war verstummt, und müde breite Wellen schaukelten das vor Anker liegende Schiff im traurigen Rhythmus auf und nieder. Nur dann und wann hörte man das Gekreisch vorüberflatternder Seevögel oder das entfernte Brüllen der Kameele am Ufer. Ein sandiger Strand dehnte sich vor uns weithin bis in unabsehbare Ferne, an demselben weisse blinkende Häuser aufgereiht, rechts niedrige, von der Sommergluth durchkochte fahle Hügel, die ein einsames Kirchlein überragt, links ferne märchenhaft durchsichtige Gebirge, in weitem Bogen am Horizonte gezeichnet. So stellte sich unseren Blicken La Goletta und Tunis dar. Die letztere Stadt war noch nicht deutlich sichtbar; nur in dunstiger Ferne tauchten aus dem Grunde einer sumpfigen Lagune die schwachen Umrisse eines verworrenen Häusermeeres auf, wie die nachlässigen Pinselstriche eines über einem grossartigen ermüdeten Malers; doch hatte dieses Bild bei aller Verschwommenheit und Eintönigkeit für mich etwas ungemein Fesselndes, da sich beim Anblicke desselben in meiner Seele historische Erinnerungen mit dem Reize des Neuen auf das Wunderbarste verwebten.
Nachdem ich mich einigermassen satt gesehen und bereits in Gedanken Ebene und Berg durchwandert hatte, liess ich mich in einer Barke an das Land hinüberrudern. Wir fuhren an mehreren vor Anker liegenden Schiffen und auch an ein paar schmutzigen Tunesischen Dampfern vorüber und drangen dann in einen das Meer mit der Lagune verbindenden Kanal ein. Auf dem linken Ufer desselben sassen, von breiten Dachungen geschützt, Zollbeamte und Soldaten in ihren seltsamen unsauberen Anzügen. Mit grinsenden Mienen und unter lautem heiseren Geschrei liefen die Leute hin und her. Muselmann und Christ, Neger und Jude, alle im buntesten Gemische, wie verschieden aber auch in Tracht, Typus und Sprache, doch in einem Punkte alle einander gleich, nämlich in dem gierigen Jagen nach dem goldenen Mammon. Despotisch befehlend ertönte die arabische Mahnung, die steuerpflichtigen Gegenstände vorzuzeigen, sklavisch und kriechend streckte sich aber die bestechliche Hand nach unredlichem Gewinnste aus. Kutscher, Schiffer und Träger drängten sich an die angekommene Beute heran, und im Fluge stürzte Pack über Pack in den offenen Kahn, während schon der Ruf krämerischer Juden: „Hinüber nach La Goletta, hinüber!“ erschallte.
Unmittelbar am Ufer schauten neugierig freche Jüdinnen, Hofbeamte und Eunuchen auf die landenden Fremden. Im Fluge durcheilten wir die Stadt. Stolz wanderte der Renegat auf dem gastlichen Boden; elend verkommen lag der Araber auf dem staubigen Weg, nur halb einem lebenden Wesen, halb einer Leiche gleichend, in den grau gewordenen Burnus gehüllt. Aber weiter ging es nach Tunis, hinaus in sausendem Trabe zur maurischen Stadt.
Beim Eintritt in die Pforte trafen wir spielende Kinder im Staube; Kameele schritten uns gravitätisch entgegen, Flaggen wehten von den Minarets, vielfach und bunt mit geheimnissvollen Zeichen und Schriftzügen geziert. Haus folgt nun auf Haus, ordnungs- und planlos, aber in malerisch gruppirtem Gewirre. Durch die Strassen eilen halb vermummte Frauen, und stolze Tuneser traben auf Maulthieren oder Rossen einher, welche sämmtlich das messingene Kettenhalsband durch die Mähne gezogen tragen. Die Reiter sitzen auf dem hohen türkischen Sattel und haben einen riesigen Strohhut auf die Spitze des phantastischen Burnus geworfen. Schon waren wir im Herzen von Tunis, auf dem einfachen Platze, bis zu welchem man in den weit ausgedehnten Winkelwerke der Stadt mit dem Wagen gelangen kann. Weniger neu, aber nicht minder fremdartig war der Anblick, der hier unserer harrte. Die vielen fränkischen Trachten liessen sogleich erkennen, dass wir das Viertel der Europäer betreten hatten; es sind meist Italiener, Malteser, sowie auch mancher Franzose, ernste, hagere, von der afrikanischen Sonne gebräunte Gestalten, die zum Theil der Druck despotischer Regierungen, teils eigenes Elend zwang, ihrem schönen Vaterlande den Rücken zu kehren und die nun hier ansässig und reich geworden, unter fremden Himmel eine gastliche Heimat gefunden haben. Die Europäer waren aber auch vielfach mit Orientalen, die in den abenteuerlichsten Trachten umherwandeln, gemischt, und dazu kamen noch halbnackte Kinder und bettelnde Mädchen, welche mit schelmischen Blicken den Saum unseres Kleides küssten. Aus den entlegeneren Häusern erschallte der dumpf heulende eintönige Gesang des Arabers und wie fernes Wogenbrausen traf das Gelärm im Innern der Bazars unser Ohr.
So war mein Willkommen in Tunis; seitdem verlebte ich dort Tage des steten Interesses, und ich will nun versuchen, soviel mir jene farbenreichen Scenen noch in der Erinnerung sind, ein Bild von Ort und Leuten in flüchtigen Umrissen zu entwerfen, einfach und anspruchslos wie die losen Blätter eines Albums.
Was in unseren Städten Corsos, Promenaden, Marktplätze und Theater sind, das alles findet sich in Tunis in den geräuschvollen Bazars vereinigt. Begeben wir uns daher sogleich mitten in das Gewirre derselben, denn dort ist alles Leben, alles Sehenswerthe des Ortes zusammengedrängt. Wenn die sengenden Strahlen der südlichen Sonne glühendheiss über der Stadt brüten, dann ist das Wogen und Treiben in diesen schattigen Gängen ganz besonders rege. Gar viele Stunden brachte ich dort zu in Betrachtung der ewig wechselnden Bilder. Es war um die Mittagszeit, als ich das erste Mal die Bazars besuchte. Schon in der dahin führenden Gasse, die von dem Platze abgeht, machte sich ein Theil ihres Lebens geltend. Der buntscheckige Menschenknäuel wogte auf dem sonnendurchglühten Pflaster auf und nieder. Der reiche Muselmann hoch zu Ross, der arme Kameeltreiber barfüssig, die arabischen Frauen mit den künstlich vereinigten Brauen, halb schwarz vermummt, und die Jüdinnen in engen, die Füsse fest umschliessenden Beinkleidern.
Die Araberinnen sind schleierartig leicht, Sylphiden gleichend, wie aus dem Serail hergezaubert, die Jüdinnen dagegen steif, geschmacklos und plump. Die Frauen begleiten kleine Mädchen, manche der Armuth Bild, andere dagegen dem Ansehen nach wohlhabend und reich. Sie sind gleichfalls an Tracht und Typus dem Stamme nach kennbar, auch sind die Araberinnen meist auf der Stirn und im Gesicht mit blauen Kreuzchen und Sternchen bezeichnet, denn ihre Mütter glauben sie dadurch im Leben gegen Unfälle zu schützen. Hier treffen wir auf einen Laden von europäischer Einrichtung, darin eine junge Sicilianerin, deren von langen schwarzen Wimpern umrahmte Augen Trauer um die verlassene Heimat bekunden; dort schreiten alte Malteserinnen, in schwarze Röcke gehüllt, emsig zum Markte, während im wohlthuenden Kef die jungen Tuneser in den Läden sitzen, bildschöne Jünglinge, ätherisch reine Kunstgestalten, an denen man sich nicht sattsehen kann; sie gefallen sich in den verführerischsten und nachlässigsten Stellungen, denen aber die natürliche Anmuth stets eine gewisse Grazie verleiht. Haus schließt sich an Haus, Gruppe an Gruppe in buntester Reihe.
Hier schwingt sich leicht und feenartig ein maurischer Bogen über den Weg, dort steigt ein luftiger terrassengekrönter Minar über die Gebäude empor. Dann und wann geht auf die lärmende Strasse ein vergittertes Fenster hinaus, das so manche Scene häuslichen Schmerzes beleuchtet.
Nun kommen wir zu den eigentlichen Bazars, der Stätte des lautesten Handels und Wandels; es sind lange, unabsehbar lange Gassen, sämmtlich weiss getüncht, manche gewölbt, andere nur mit einer einfachen Holzbedachung versehen; an und für sich zwar einförmig, überaus reich aber durch eine seltene Auswahl der mannigfaltigsten Waaren. Jedes Gewerbe hat seinen eigenen Bazar, der mit den Eigenschaften einer Marktbude und einer Werkstätte zugleich die einer häuslichen Wohnung verbindet. Im Bazare der Stoffe hängen die prachtvollsten tunesischen Seidenzeuge, Burnusse aus Djerbi und dem Inneren des Landes, jüdische Kabane und arabische Kleider für die Bewohner des Harems. Gold, Stickerei und vor allem Farbenpracht verleihen diesen Gegenständen sein auffallend schönes Aussehen, das noch mehr durch ihre Aufstellung in den kleinen niedlichen Läden gehoben wird, in welchen der mit dem Turban bedeckte, unaufhörlich rauchende Händler im schneeweissen Burnus auf seinen untergeschlagenen Beinen sitzt. Dazu kommt als belebende, ständig wechselnde Staffage die bunte vorüberwogende Menge des Volkes. In anderen Bazars befinden sich die Tuchwaaren; hier sind Juden die Inhaber, kenntlich an dem kleinen haarigen Viereck, das sie an den Seiten des glatt rasirten Kopfes als Abzeichen ihres Glaubens stehen lassen. Die Waaren sind meist ausländische Fabrikate, die namentlich unser geliebtes österreichisches Vaterland liefert, welches den dortigen Markt vorzugsweise beherrscht. Weiterhin gelangen wir zu dem Bazar der Feze, wo zarte Maurenknaben die haarigen Kappen sorgfältig scheeren, und zu dem Bazar der Waffen, der mit unzähligen Gewehren und Pistolen der verschiedensten Art angefüllt ist; manche derselben sind einfach und schmucklos, gar viele auch mit blitzenden Perlmuttkolben versehen. Hieran stossen die Bazars der Juweliere, allein die den Orientalen so magisch anziehenden Edelsteine, sowie Gold- und Silber arbeiten sind sämmtlich in fest verschlossenen Holzkästchen verborgen. Die meisten Schmuckgegenstände sind für Frauen bestimmt; denn der ernste Araber trägt ausser Ringen und Waffen keinen anderen Zierrath; es sind vorherrschend grosse Ohrgehänge von sehr zierlicher Zeichnung, Halsschnüre und Armbänder, blitzende Gürtel, wie eigens geschaffen für den leicht schwellenden Wuchs der maurischen Schönen, und noch so mancherlei andere eigenthümliche phantastische Geschmeide. Es folgen nun die Bazare der Tischler, wo unter Anderem auch vielfach mit Perlmutter ausgelegte Kästchen verkauft werden; ferner die Bazars der Esswaaren, der Früchte, der zahllosen Pfeifen, des Tabaks und jenes duftenden Krautes, womit sich die muhamedanischen Frauen die Nägel, die Finger, die Stirn und bisweilen auch die Füsse orangeroth färben. Aber nicht blosse Händler bewohnen die Bazars, sondern auch Leute, die sich auf andere Weise ihren Unterhalt erwerben. Häufig sieht man einen alten ehrwürdigen Araber, der von mehreren emsigen Jünglingen unterstützt, sich mit dem Abschreiben von Koransprüchen und anderen Schriften beschäftigt, ferner Wechsler, welche mit ernsten Mienen vor einer Menge säulenförmig aufgeschichteter Kupfermünzen sitzen und endlich Männer, die sich unter sichtlichem Schmerze, aber geduldig mit einer scharfen Messerspitze die Arme tätowiren lassen. An einer Stelle sind es wieder die Eingänge von Bädern und Moscheen, welche die Menge anziehen. Die Bäder sind einfache Bauten, in deren warmer dunstiger Atmosphäre sich die Araber erquicken. An den Wänden finden sich meist rohe phantastische Bilder von Thieren, Schiffen und ähnlichen Gegenständen; es sind bereits fränkische Anklänge in den bildliche Darstellungen sonst streng verbannenden Gebäuden der Mauren. Moscheen besitzt Tunis gar viele; manche derselben sind in ihrem Aeusseren wirklich künstlerisch schön, gewöhnlich mit verschiedenfarbigem Marmor – oder mit bunten Fayenceplatten geschmückt. Besonders zierlich sind die meist achteckigen Minarets, eine glückliche Mittelform zwischen den plumpen vierseitigen Thürmen des nordwestlichen Afrikas und den schlanken säulenartigen Minarets des eigentlichen Orients. Häufig ist durch den offenen Eingang der Moschee ein Blick in den von Bogenhallen umgebenen Hof gestattet, zuweilen sieht man sogar in der Ferne den Eingang in das mit Lampen geschmückte Heiligthum, alles Andere bleibt aber dem Auge des Fremden gänzlich entzogen, denn die Franken und Juden sind selbst von dem Vorhof verbannt. Unlängst fiel ein Jude seiner Neugier zu Opfer: er wurde, als er unbedachtsam weiter vorging, von fanatischen Moslims erdolcht, um die verletzte Ehre des Tempels zu sühnen. Auf den Stufen, die zu den Moscheen führen, sieht man im kühlen Bazar zahlreiche Araber fahrlässig schlummern, denn sie suchen zu ihrer Ruhe mit Vorliebe den schützenden Schatten der geheiligten Orte auf.
Auch an Kaffeehäusern ist in den Bazars kein Mangel; dieselben sind stets mit zahllosen Tunesern besetzt, die hier mit Wohlbehagen aus kleinen, zierlichen Schalen den stärksten duftigen Mocca schlürfen. Sie sitzen dort im behaglichen Nichtsthun, theils auf ihren gekreuzten Beinen, theils liegen sie auf den Seitenbänken ausgestreckt und blasen aus ihren ellenlangen Pfeifen weitgedehnte Rauchwolken vor sich her. Interessant sind gleichfalls die Barbierstuben mit ihren Spiegeln, wozu hie und da auch noch das primitive Bild eines fahrenden Segelschiffes kommt; hier lassen sich die Orientalen unbelästigt durch das Zuschauen der Vorübergehenden ihren Kopf ganz glatt rasiren. Ausser den bisher geschilderten Läden und Händlern treiben sich unter den Bazars noch eine Menge von Verkäufern umher, welche auf gut Glück versuchen, bald hier, bald dort etwas an den Mann zu bringen. Sie tragen Brustbeeren in breiten Körben, dann wälsche Nüsse, Haselnüsse, goldgelbe Bananen und so manche andere Frucht. Von Zeit zu Zeit begegnet man einem mit Gemüse belasteten Zwergesel, auf dem die lilablauen Melanzanen zwischen safrangelben Melonen und grünende Kräuter hervorragen.
Der Führer desselben verschwindet beinahe im Gewühle und vermag seine Stimme kaum vor dem Geschrei der gleichfalls umherwandernden Verkäufer von Wassermelonen geltend zu machen.
Doch siehe da, auf einmal wird es still; die Leute weichen aus einander und ein alter Mann kommt dahergewankt. Er trägt einen milchweissen Turban und Burnus und als Kennzeichen die Schärpe in der grünen Farbe des Propheten; ein langer schneeweisser Bart wallt auf seine Brust herab, er stützt sich auf zwei aufblühende Jünglinge, denn seine Kräfte hat das Alter gebrochen und seine Augen sind starr geworden im langen Gebete. Wir haben einen Derwisch vor uns, einen hochverehrten, treuen Diener Allahs, der eben zur Moschee hinwandelt. Die Leute beugen sich tief vor demselben und küssen ihm das Gewand oder auch den Boden, den sein Fuss berührte und schliessen sich ihm theilweise als Gefolge an. Alsbald fängt das Schreien von Neuem an und die Bazars füllen sich wieder mit Menschen, bis der neue Ruf: „Bielek, Bielek, Osman Bielek!“ sie abermals auseinander treibt. Jetzt ist es ein Minister oder ein Grosser des Reiches, eine kleine untersetzte Figur mit fest auf den Scheitel gedrücktem Fez und im schwarzen türkischen Kleide. Er reitet, von einem Neger gefolgt, auf einem Maulthiere und begibt sich zum Palaste, zur verödeten Wohnung der einstigen Beys. Schließen wir uns ihm an.
Nur einige Soldaten stehen vor dem Eingange des Palastes, der von außen betrachtet einfach, weiss getüncht und mit zahllosen Fensterchen versehen ist. Einfach ist auch der Hof, klein, sogar unansehnlich die Treppe, zierlich dagegen oben gar manches Gemach. Einige haben die Wände mit maurischen Stukaturen geschmückt, andere zeichnen sich durch grellfarbige Plafonds mit den schönsten Arabesken aus; in manche drang aber auch französischer Geschmack und mit demselben der Zopf. Merkwürdig ist eine kleine Kammer, welche von oben her das Licht empfängt, und zwar durch eine, einem Käfig gleichende Laterne, die ein flach gelegtes eisernes Gitter vom Zimmer trennt. Auch eine maurische, mit Bänken versehene Rotunde verdient Erwähnung. Hier wurden zur Zeit der Verfassung die Versammlungen abgehalten, doch währte dies nicht lange, denn die Araber hatten für politische Freiheit keinen Sinn und zerstörten bald mit blinder Wuth das freisinnige Werk. Ein Saal des Palastes endlich ist wie eine Brücke über die Gasse gebaut. Er bietet nach beiden Seiten durch vorspringende Gitter die Aussicht auf den lärmenden Eingang in die Basars. Dort sitzt der Bey während der Zeit des Ramadan drei Tage lang fast den ganzen Tag über und schaut auf die Menge hinab, deren neugierigen Blicken er sich in Tunis alljährlich nur bei dieser Gelegenheit zeigt. Es ist dies überhaupt das einzigemal, dass er seinen ernsten städtischen Sitz besucht und er weilt dann gewöhnlich daselbst nur eine einzige Nacht. In dieser schwebenden Wohnung bringt er die Zeit mit Rauchen hin, und lässt sich Goldschmuck und Edelsteine von den Juwelieren zur Auswahl und zum Ankauf für sich oder seine Günstlinge vorlegen.
Nicht weit vom Schlosse liegt ein breiter Platz und an denselben stösst die alte, nun halb baufällige Kaserne La Hasba. Sie ist eine der vielen, welche Tunis besitzt, von allen aber die malerischste. Ein schönes maurisches Thor, welches nach dortigem Brauch aus lauter bunten Fayenceplatten zusammengesetzt ist, führt in dieselbe, und hoch über sie hinaus ragt eine Fahnenstange zum Aufhissen des tunesischen Banners. Neben der Kaserne bei einem Minar steht eine Palme und wetteifert mit diesem an Grazie und Schwung. Wendet man sich von La Hasba allmälig linker Hand aufwärts, so gelangt man zu einem mit Blumen und Gesträuchen geschmückten Plätzchen; hier sprudelt eine Quelle hervor und speist einen breiten Wasserbehälter, der seine Wohlthaten über die ganze Stadt vertheilt. Von diesem Standpunkte aus übersieht man ganz Tunis am besten. Zahllose Moscheen mit ihrem Minarets und buntfarbigen Fahnen, einzeln stehende Marabouts, zinnengekrönte Kasernen und Thore treten aus der flachen Masse der Terrassendächer wie aus einem Wüstenmeer hervor. In der Ferne sieht man La Goletta, dazwischen die ganze, im Sonnenlicht diamantblitzende Salzlagune und die übrige, kahle gelbe Umgebung von Tunis. Märchenhaft still ist das Bild von jener Höhe und dem in seine Betrachtung Versunkenen beschleicht unwillkürlich eine unaussprechliche, tiefelegische Stimmung; man sehnt sich nach der Ferne, wo man im Norden das ewig blaue und klare Meer als einen schmalen Saum, im Süden dagegen die sonnendurchglühte wellige Ebene erblickt; über beide lässt die erregte Phantasie bald sonnige, heitere, bald finstere, grauenhafte Phantome dahinziehen.
Verlassen wir aber den einsamen Bardo mit seinen bedauernswerthen Bewohnern und kehren wir nach Tunis zurück, wo während der Nachmittagsstunden im Gewühle der Gassen noch manches Schauspiel unserer wartet. In den abgelegenen Theilen der Stadt sind Vergnügungsplätze und Tempel, Kaffeehäuser und Moscheen die Orte, welche Leben und Menge an sich ziehen. Im Kaffeehaus sieht man den Araber der Wüste, den reichen Tuneser, den Händler aus Djerbi, den schwarzglänzenden Mohren einträchtig im Kreise bei einander sitzen und sich alle auf gleiche Weise erquicken. Ihre Unterhaltung ist zwar nur gebrochen, aber doch heiter bei allem Ernst. Genügsam im Leben, Philosoph der Natur ist der dortige Mensch; er freut sich des Augenblicks, wo bei heiterem Gelage die Rauchwolke emporwirbelt, unbekümmert um die Zukunft; denn ihm ist das Kaffeehaus Alles, Unterhaltungsort, Wohnung und im Nothfalle selbst Nachtlager. Manchmal sitzt er des Rauchens müde im Schatten einer alten Sykomore, die Kaffeehaus und Grab in gleichem Masse zu beschatten berufen ist, sich bald dem Würfelspiele, bald anderem Zeitvertreib widmend.
Kommt des Moslims feierliche Stunde, die zur Erfüllung der religiösen Pflichten mahnt, so ertönt vom hohen Minaret herab die Stimme des Muezzin und fordert nicht vergeblich zum Gebete auf. In Menge strömen die Araber zum Tempel und suchen in der klaren Quelle desselben Erfrischung des Körpers und Stärkung der Seele im langen Gebet.
Häufig vernimmt man am Nachmittage aus den Moscheen die eintönige Stimme der Knaben und die heisere Begleitung der mitbetenden Menge. Noch vor Sonnenuntergang werden aber die Thüren geschlossen und die Fahne des Heiligen vom schlanken Minaret herabgelassen; still und voll ernster Andacht ziehen sich dann die frommen Schaaren zurück. Wir folgen ihnen nicht, sondern begeben uns im Halbdunkel des Abends in die eigentliche Judenstadt. Kein Araber, kein weisser Burnus, kein vermummtes Mädchen ist hier zu erblicken; es begegnen uns nur hagere schwarze Gestalten, mit dem dunklen Kaban und rother Binde um den Leib, mit braunen Strümpfen, Schuhen mit Schnallen, einen schwarzen Fetzen um den glatt geschorenen Schädel als Turban. Frauengestalten in der schon beschriebenen schwerfälligen Tracht, manchmal jedoch mit gar feinen Gesichtern zeigen sich an den eisernen Gittern baufälliger Fenster. Eng und schmutzig sind die Gassen; bald ganz offen, bald mit Ueberwölbungen versehen, welche die zierlichsten Bogen und Pfeiler im maurischen Geschmack tragen. Auch hier ertönt des Abends näselndes Gebet, es kommt aus den Synagogen her, womit dieser Stadttheil gar reichlich besetzt ist. Maurengeschmack herrscht aber in denselben so vor, dass wenn man nicht die Bänke und die Schreine für kostbare Thorarollen berücksichtigte, man sich weit eher in eine Moschee versetzt glauben würde; denn ganz übereinstimmend ist der Bau mit den vielfachen Pfeilern, gleich sind die Lampen und ebenso einfach die alles Bilderschmuckes entbehrenden weissgetünchten Wände.
Durchwandern wir nun noch einmal die Bazare inmitten der Dunkelheit. Die seitlichen sind jetzt verödet; nur gespensterhaft irren noch hie und da einzelne Gestalten umher. Lärmend erschallt aus den Häusern des Tamburins hohes Geschrei und liederlicher Phrynen Gesang. – Doch muselmännischer Tempel und Weib sind in Tunis des Arabers ausschliessliches Gut. – Nur in den grösseren Bazars ist das Leben noch wach, wirr durcheinander dreht sich der Volkshaufen durch die erstickende Luft. Kein Wind regt sich, kein Licht leuchtet, nur dann und wann verbreitet eine mitten über die Köpfe herabhängende Ampel einen matten Schein. Hier und dort liegen Araber, den Kopf in ihre Decken gehüllt, auf dem Pflaster umher, Lastthiere stampfen, und eiligen Schrittes huschen Kinder, Frauen und die beständig umherschachernden Krämer vorüber. Es machte mir viel Vergnügen, mich in der Dämmerung unter diese Menge zu mischen und von ihrer Strömung getragen, mich durch das Winkelwerk der Stadt fortführen zu lassen.
Aber immer wieder drängten die Menschenschaaren unwillkürlich nach den Hauptadern zurück, zu den beliebten Bazars. Einmal ging ich spät Abends bei Sternenschein weit durch die Stadt bis in die dunkelsten Winkel der entferntesten Viertel.
Halb offene Thüren, aus denen stöhnende Klagen hervordrangen, und herumirrende Hunde waren überall zu sehen. Ich kam aber auch durch Gassen, welche völlig ausgestorben zu sein schienen, denn weder ein thierischer Laut, noch eine Menschenstimme liess sich hören.
In anderen Gassen wurde ich von Arabern am Weitergehen verhindert, denn es befand sich dort ein heiliges Grabmal, ein verehrtes Marabout, und eine solche Gasse darf des Fremdlings profaner Fuss nicht betreten. Endlich hörten die Häuser allmälig auf, und ich gelangte durch ein Thor nicht weit von der Lagune ins Freie; hier setzte sich noch eine Art mit Moscheen und Minarets geschmückte, sonst aber nur aus elenden Hüten bestehende Vorstadt zu einer langen geraden Strasse fort. Inzwischen war beinahe die ganze Nacht verstrichen und der Tag fing an zu grauen. Mit Waaren beladene Kameeltrosse kamen aus der Wüste dahergezogen, und Araber trabten auf kleinen Eseln vorüber. Durstig drängten sich die ermatteten Thiere und ihre bestaubten Führer an einen Brunnen, sie wurden aber alsbald von uniformirten Polizeimännern mit Stockschlägen wieder fortgetrieben. Kein Murren erhob sich dagegen, Mann und Kameel, Esel und Weib, alle gleich geduldig, menschliche und thierische Sklaven zogen weiter hinein in die Stadt.
Am Ende der Vorstadt, zwischen der Lagune und den sie im Osten umsäumenden Hügel verflacht sich der Boden zu einem weiten, wüsten, sonnverbrannten Platze. Kein Baum, kein Strauch bedeckt die öde steinige Fläche, überall aber gewahrt man verwitterte, mit arabischen Schriftzeichen bedeckte Denksteine, die theilweise eingesunken und umgefallen oder mit wildem Unkraut überwuchert sind. Es ist der maurische Friedhof, die düstere unheimliche Stätte der Todten. Männer und Frauen, besonders letztere, jedoch lediglich Araber, wandern schon in erster Frühe trauernd dahin, um ihre Gebete für diejenigen zu verrichten, welche einstens im Leben ihre Freude und ihr Trost waren. Zuweilen sieht man hier Frauen, nachdem sie aromatische Kräuter auf ein Grabmal gelegt haben, dasselbe mit ihren Thränen benetzen und sehnsuchtsvolle Worte an den Verstorbenen richten, die sie mit hart an den Boden gepressten Lippen in die Erde murmeln; aber umsonst, keine Antwort kommt von dem geschiedenen Lieben zurück. An jenem Morgen war der Friedhof noch leer, ich bemerkte nur in der Ferne eine junge Mutter bei dem Grabe ihres Kindes; herabgefallen war ihr die Vermummung und deutlich zeigte sich nun ihr reines, von Schmerz verklärtes Antlitz. Krampfhaft umklammerte sie mit ihren rothgefärbten Händen den Grabstein und nur dann und wann brach aus ihren Augen ein unheimlich leuchtendes Feuer hervor, das jedoch durch die langen schwarzen Wimpern mit den daran hängenden Thränen wieder einigermassen gemildert wurde. Lange Zeit beobachtete ich sie und immer grösser erschien mir ihr Schmerz; aber auf einmal zogen schaurige ächzende Klagelaute meine Aufmerksamkeit auf sich. Vier Araber schritten im schnellen Laufe mit einer Bahre auf den Schultern dahin, die nur mit einem alten Burnus bedeckt war; sie sangen Gebete ab und flehten schmerzvoll die Manen des Verblichenen an. Ihnen folgte ebenfalls eine Frau, diesmal aber eine magere, vom Alter gebeugte Gestalt von wildem, abschreckendem Aussehen, deren Gesicht zur Hälfte von einer schwarzen Larve bedeckt wurde; sie stimmt mit in das Klagegeschrei ein und rang in Verzweiflung die Hände über den Haupt. Mehrmals hielt sie inne und es schien, als wolle sie umkehren, aber sie fühlte sich immer wieder von neuem angetrieben, dem Zuge zu folgen, um nur den Theueren noch ein einzigesmal sehen zu können. Da plötzlich verliessen sie die Kräfte, sie sank nieder, und ich hörte nur noch ein dumpfes Stöhnen. Der Leichenzug war indessen im Staube verschwunden, und der weite Platz zeigte sich bis auf die zwei weinenden Mütter wieder ausgestorben und öde.
Im Innersten ergriffen verliess ich diesen Ort der ewigen Ruhe und richtete ein stilles Gebet für die Unglücklichen zu jenem Gott, der den Moslim nicht minder wie den Christen erhört.
Während meines Aufenthaltes in Tunis machte ich mehrere Ausflüge in die Umgebung und so auch nach La Goletta, um einer Gerichts-Verhandlung des Bey’s beizuwohnen. Es war die heiterste Frühe, als wir uns in den Wagen setzten, um dorthin zu fahren. Die ganze Gegend lag im Strahlenglanze vor uns; die ausgedörrte Ebene und die röthlichen Hügel in der Ferne schimmerten wie Gold. Im sausenden Trabe flogen unsere, von einem kräftigen Mulatten gelenkten Pferde auf dem staubigen Wege dahin, der sich in weiten Krümmungen, welche nur ein sinnloser Brauch der tunesischen Kutscher zu erfinden vermochte, durch die Fläche windet. Die Strasse läuft anfangs am Saume der Lagune dahin, dann biegt sie wieder davon ab, bis sie von neuem jenen Rand erreicht. Hier herrscht tagtäglich das regste Leben der Vogelwelt; in unzähligen Schaaren sieht man gleich weissgetünchten Pfählen, die Flamingos, im Wasser stehen; sie verhalten sich meistens ruhig oder waten reihenweis gegen die Tiefe zu. Vom Ufer sind sie gewöhnlich weit entfernt, sonst aber gegen Unbewaffnete zutraulich. Ihre rosigen Federn schwemmen die Wogen in Menge an den schlammigen Strand, an welchem zahlreiche Tringa-, Totanus- und Charadrius-Arten ihr Wesen treiben. In Gesellschaft dieser munteren Vögel schwärmen auch die zierlichen Seeschwalben umher, die sich dann und wann in Blitzesschnelle in die Fluthen hinabstürzen, um sich sogleich wieder mit einer Beute fröhlich in die Lüfte zu erheben. Im Uebrigen bietet der ganze Weg wenig Abwechslung dar, denn der Hintergrund bleibt immer derselbe. Am malerischsten erscheinen noch die kleine, inmitten der Lagune gelegene Festung und die fernen hohen Gebirge; sonst sieht man nur fort und fort Oelbäume in langweiligen einförmigen Reihen. Auch an Häusern kommt man selten vorüber. Ein grösseres, mit einer etwas salzhaltigen Quelle, die eine Noria hebt, bezeichnet die Mitte des Weges. Wie überall bei Tunis wird auch auf dieser Strasse das Eintönige der Gegend durch die ewig abwechselnde Staffage gemildert. Reiche Kutschen mit stolzen Tunesern, die auf ihren gekreuzten Beinen sitzen, elende Omnibusse voll herumliegender Araber fahren in langen Reihen vorüber, aber auch, welch’jämmerliches Bild! Angeklagte werden barbarisch von zerlumpten Gensdarmen bei glühender Sonnenhitze nach La Goletta zum Gerichte getrieben; ihnen folgen von fern voll Angst und Betrübnis ihre treu ergebenen Frauen. Lassen wir aber diese traurige Scene, denn schon zeigt sich am Ende der Ebene, da wo sich der leicht gewellte Boden gegen den Strand hin neigt, La Goletta, das man aber erst nach Umschreibung eines ansehnlichen Bogens, den eine Erweiterung der Lagune verursacht, erreicht.
Das Erste, was Einem beim Eintritt in La Goletta begegnet, sind einige Cavalleriekasernen und der kleine christliche Friedhof für die europäische Bevölkerung der beiden Schwesterstädte; dann reiht sich Haus um Haus bis zum Thore, in dessen Nähe üppige Bäume Kühlung und wohlthuenden Schatten verbreiten. Dann folgen Häuser zu beiden Seiten der Hauptstrasse, von der sich mehrere Gassen abzweigen. Zahlreiche Bauten sind nach europäischer Art, denn hier haben die reichen Tuneser, darunter auch viele Söhne der Fremde, ihren Sommersitz aufgeschlagen. Den Reiz von La Goletta bildet der prächtige Strand, an welchem für die Badenden eine Menge Zelte errichtet sind. Diese werden von Arabern, vorzüglich aber von Juden, von denen viele beständig in La Goletta wohnen, zum öffentlichen Gebrauch gehalten. Diesem Umstand hat es die Stadt auch zu verdanken, dass sie der Lieblingsaufenthalt des jetzt regierenden Bey’s geworden ist. Er hat sich ein hölzernes Lusthaus auf Pfählen unmittelbar über dem Meere gebaut, welches eine Brücke mit dem Land in Verbindung setzt, und hier bringt er den grössten Theil des Tages zu. Diesem Lusthause gegenüber, an einem staubigen unregelmässigen Platze, liegt der eigentliche Palast des Bey’s; es dient seinen Frauen und Lieblingsknaben zur Wohnung. Weiter nach Süden steht ein kleineres Gebäude, welches zum Abhalten der Gerichtstage bestimmt ist.
An jenem Tag war die Menge äusserst gespannt, denn obwohl der Bey, dem Herkommen gemäss, zweimal in der Woche Recht zu sprechen pflegt, so verschiebt er doch manchmal diese lästige Pflicht von einem Tag auf den andern. Diesmal hatte seit fast einem Monate keine Gerichtsverhandlung stattgefunden, daher war halb Tunis nach La Goletta zusammengeströmt. Wagen reihte sich an Wagen, und fränkische Trachten bewegten sich in buntem Gemische mit dem arabischen Turban und dem dunkelrothen Fez durcheinander. Würdenträger des Reiches, Minister, Generäle und Eunuchen füllten die Gassen, alle in Erwartung, welchen Entschluss der Bey fassen werde; denn der an kein Gesetz gebundene Despot bestellt oft die Gerichtsverhandlungen im letzten Augenblick ab, wenn schon alles bereit ist. Sträflinge wie Gäste müssen dann unverrichteter Sache wieder nach der Hauptstadt zurückkehren. Fort und fort fuhren Kutschen herbei und wieder fort, Frauen des Bey’s in dicht verschlossenen Wagen, Adjutanten in glänzenden Uniformen und dann und wann fremde Consuln mit ihren Maulthiergespannen. Da auf einmal verbreitete sich mit Blitzesschnelle die Kunde, das Gericht finde wirklich statt. Ungeduldig drängte sich nun die Menge nach dem Gerichtsgebäude hin. Beim Eingange desselben begrüssten sich gravitätisch nach orientalischem Brauche feiste Staatsbeamte vom Civil und Militär, alle in Uniform, den Fez auf dem Kopfe, die Kleidung nach neutürkischem Schnitt und die österreichischen Rangabzeichen am Kragen und traten je zwei in etikettmässiger Ordnung in den Palast; denn nunmehr findet das übliche Ceremoniel vor jedem Gerichte, der Handkuss, statt, den der Souverain lediglich in Gegenwart seiner Beamten als Ausdruck ihrer Ergebenheit entgegennimmt. Viele unter ihnen entziehen sich aber diesem Huldigungsacte; denn wozu sollen sie schmeicheln, ohne einen Vortheil davon zuhaben, weshalb einem Herrn den Hof machen, der ihnen nicht zahlt? Ein Unwohlsein dient ihnen zur Entschuldigung, dass sie der Hoheit nicht die gebührende Verehrung bezeugten, während sie ihre Cigarette unter den Veranden des Marineministeriums, die ihnen als Versammlungsort dienen, ruhig weiter rauchen.
Inzwischen kommen hierher zerlumpte Araber, gelb vom Staube der Wüste, und bringen auf offenem Platze ihre Klagen vor dem Minister an. Ein hagerer riesiger Eunuch in reinweisser europäischer Kleidung dient ihnen als Anwalt. Unter lebhaften Gesticulationen wird hin und her verhandelt; mit wichtiger Miene murmelt dann der wohlbeleibte Staatsmann einige Worte, und damit ist auch der Streit entschieden; die Elenden eilen wieder in die Wüste hinaus. Jetzt aber steht uns weit mehr bevor, als dies alltägliche Rechtsprechen, nämlich das Gericht des Bey’s selbst.
Die Beamten waren aus dem Saale getreten und ich dichtem Gedränge ergoss sich jetzt das Volk durch das breite Thor und über die Treppe in den Wartesaal. Wir wurden als Fremde in den Gerichtssaal selbst eingeführt und erhielten hinter dem rechten Spalier unsere Plätze angewiesen. Einige Minuten vergingen und ich hatte Musse genug, mir Ort und Leute genauer anzusehen. Der Saal hatte eine beträchtliche Länge und war auf französische Weise eingerichtet. Die drei Fenster im Grunde desselben und die beiden Seitenthüren sowie das grosse Eingangsthor standen offen. Vor dem mittleren Fenster befand sich ein Thron aufgestellt, ein vergoldeter, mit rothem Sammt gepolsterter Stuhl und zu demselben führten mehrere, ebenfalls roth überzogene Stufen. Auf dem Throne sass der Bey, ein Mann in den Vierzigern, von ernstem despotischem Ansehen mit tief aufgedrücktem Fez auf dem Haupte, das von einem schwarzen Vollbarte eingerahmt einem Eberkopfe nicht unähnlich sah. Er trug die kleine Generalsuniform mit verschiedenen Ordensbändern. Zu seiner Rechten stand der allmächtige Hasnadar, ein feiner, geistvoller Kopf mit durchdringendem Blicke, zur Linken ein junger Vetter des Bey’s, eine plumpe sinnliche Gestalt, sowie mehrere Minister mit nichtssagenden Gesichtern, alle in schwarzen türkischen Röcken, die nur mit Mühe den stattlichen Schmerbauch umspannten. Weiter nach links folgten der mit Orden geschmückte, noch junge Generaladjutant und mehrer Jünglinge im Range vom Major bis zum General, dem Titel nach Hofchargen, in der That aber nur Günstlinge des Bey’s. Zu beiden Seiten bildeten die übrigen Beamten, der Gouverneur von Tunis, Marineofficiere, Stabsofficiere und andere Spalier. Vor ihnen sassen in Reihen auf Polstern mit kreuzweis unterschlagenen Beinen Schreiber, zur Linken auch der Staatssecretär. Alle waren ebenfalls in türkischem Anzuge und trugen den Fez auf dem Kopfe; ein jeder war mit Papier und Schreibzeug versehen. Hinter dem Spalier der Beamten standen zur Rechten sechs Mann von der Leibgarde, Leute in ganz rothen, reich vergoldeten Uniformen, ähnlich unseren Trabanten, jedoch durch die orientalische Kopfbedeckung verschieden. Es sind meist Renegaten; darunter befand sich auch ein Deutscher, dessen blonder Schnurrbart schon von weitem den nordischen Abkömmling verrieth. Ihr Hauptmann war ein alter, zahnloser Türke mit fürchterlicher Miene, er trug dieselbe Uniform wie seine Untergebenen, nur hatte er noch einen grossen bunten Federbusch auf dem Fez und einen langen Stab als Zeichen seiner Macht. Ausserdem wogte hinter den Spalieren noch ein Heer von niedrigen Beamten, Kawassen und Soldaten.
Das Zeichen zum Beginn der Verhandlungen wurde gegeben. Ein Soldat schreitet, von zwei anderen geführt, bis dicht an den Bey heran, den dies ist sein Vorrecht. Er grüsst nach muselmännischer Sitte, indem er die Hand auf das Herz und auf die Stirne legt und trägt dann die streitige Angelegenheit vor. Ein Referendar wiederholt alles dem Bey, welcher mit grinsender Miene und gerunzelter Stirn volle Züge aus einer riesig langen Pfeife dampft und bald mit den Bernsteinkugeln seines Rosenkranzes, bald mit den Quasten der Polster seines Thrones spielt. Der Bey ruft den Stadtgouverneur herbei, um von ihm genauere Auskunft über den Sachverhalt zu empfangen. Knechtisch unterwürfig kommt dieser dem Befehle der Hoheit nach, die kurze Fragen an den Angeklagten richtet. Letzterer fängt an zu zittern, seine Stimme wird unsicher, doch fährt er bald wieder mit arabischer Zungengeläufigkeit fort. Nach wenigen Augenblicken schon ist er zur Strafe des Kerkers verurtheilt, die Soldaten schleppen ihn halb ohnmächtig hinaus und emsig fassen die Schreiber das gefällte Urtheil ab. Während dies geschieht, wogt die Menge lärmend hin und her, bis sich plötzlich gleich höllischem Geschrei die Stimme des türkischen Hauptmannes vernehmen lässt und Ruhe gebietet. Der Bey bläst dichtere Wolken aus seiner Pfeife, lau streift die reine Meeresluft durch die Fenster in den Saal und setzt die Franzen des Thrones in Bewegung. Allmälig klärt sich das Gesicht des Despoten auf und er sendet ein Lächeln gegen den Hasnadar hinüber, der dasselbe im Gefühle der eigenen Machtfülle erwiedert.
Jetzt tritt ein Araber, ein Kind der Wüste, mit dem malerischen Burnus bekleidet, herein; er darf sich seinem erhabenen Richter nur bis zum ersten Drittel des Saales nähern. In gewandter, klarer Rede und mit offenem, edlen Anstand beschuldigt er einen Anderen, ihm ein Kameel gestohlen zu haben. Freundlich lächelnd hört ihn der Bey an und erklärt dann mit ernsten Worten, dass der Angeklagte zur Bezahlung von zwanzig Dukaten verurtheilt sei. Vergebens betheuert dieser seine Unschuld, die Soldaten packen ihn und ziehen ihn eilig hinaus; denn noch harren gar viele Verbrecher im Vorsaal und auf der Treppe. Hierauf erscheint eine Frau, sie bleibt an der Thür stehen, denn die Sklavin darf nicht näher kommen. Ein grinsendes Wort von der Hoheit und ihr Loos ist entschieden. Im weissen reinen Burnus schreitet nunmehr ein Kawass mit einem englischen Unterthan herein, der einen Araber verklagt, dass er ihm eine schuldige Summe nicht zurückgeben wolle. „Der Araber muss zahlen!“ schreit mit donnernder Stimme der Bey. Der einzige Grund zu diesem Urtheilsspruch ist der, dass europäischer Einfluss schon mehrmals bewirkte, dass der Fremde vor dem Eingeborenen Recht erhielt und die schwache Regierung folgt nun fort und fort diesem schändlichen Brauch. Noch eine grosse Anzahl von Soldaten, Arabern und Frauen erscheinen nach und nach vor dem hohen Richter, dem mehrmals die Pfeife von neuem gefüllt werden muss. Häufig mahnt auch der gellende Ordnungsruf des Gardehauptmanns zur Ruhe; die Schreiber sind unablässig mit dem Abfassen der Urtheile beschäftigt, und gravitätisch ordnet der Secretär die noch gestellten Klagefälle. Meistens werden Geldbussen auferlegt, denn vor allem Geld braucht der verarmte Staat.
Der allmächtige Hasnadar hatte sich bereits entfernt, verschwunden waren auch fast sämmtliche Minister und immer kleiner wird selbst das Spalier; denn die Beamten suchen einer nach dem anderen das Weite. Auch die Menge im Vorsaal fängt an sich zu verlaufen, und der Hauptmann der Leibgarde stampft verdriesslich mit dem Fusse; denn schon hat die zweite Stunde geschlagen und der Bey fragt ungeduldig, wie viele noch des richterlichen Spruches harren. Von ungefähr hundertfünfzig Verklagten sind nur noch vier übrig. „Sie sollen noch kommen“, schreit zornig der Bey und in höchster Eile findet das Gericht statt.
Schon schleichen sich die einzelnen Parteien um ihr Urtheil bei den Schreibern zu sehen, da verkündigt plötzlich der Hauptmann der Leibgarde mit so gewaltigem Geschrei, dass die Wände davon erbeben, den Schluss des Gerichtstages. Alles drängt sich ungestüm zum Thore hinaus, nur der Bey bleibt noch ruhig auf seinem Throne und die Schreiber auf ihren Polstern sitzen; denn ganz im Gegensatz zur europäischen Sitte verlässt hier der Regent stets zuletzt den Saal.
Wie jämmerlich und beklagenswerth uns nun auch ein solches Gericht erscheinen mag, bei dem nicht sorgfältige und regelrechte Untersuchung, sondern der augenblickliche Einfall und das launenhafte persönliche Gutdünken eines ungebildeten Herrschers den Ausschlag geben, so sind die Araber doch damit durchaus nicht unzufrieden. Sie ziehen es vor, sich lieber den Chancen einer raschen Entscheidung zu unterwerfen, als einem kostspieligen, lange dauernden Rechtswege. Auf die Aussprüche des jetzigen, dem Trunke und der Ausschweifung sehr ergebenen Bey’s soll hauptsächlich der Umstand, wie er die vorausgegangene Nacht verbrachte, massgebend sein. Schlief er ruhig, so ist er ein milder und nachsichtiger Richter, durchschwärmte er aber die Nacht im Weinrausche und in der lasciven Gesellschaft seiner Lieblingsknaben, so geberdet er sich tobend und wuthschnaubend auf dem Thron und fällt die härtesten Urtheile. Diesen Umstand wissen die europäischen Consuln auch recht wohl zu benutzen, denn wenn sie einen Unterthan vorzuführen haben, so lassen sie sich frühmorgens im Palast erkundigen, ob der Bey die Nacht ruhig zugebracht hat. ist dies nicht der Fall, so verschieben sie die Klage lieber bis auf den nächsten Gerichtstag.
Obwohl ich das Glück gehabt hatte, den Souverain noch in ziemlicher Ruhe zu sehen, so war mir doch der ganze Vorgang zum Eckel geworden; ich sehnte mich hinaus in die freie, nach unwandelbaren ewigen Gesetzen waltende Natur. Und hier hätte ich mir fürwahr kein einladenderes Ziel zu meinen Wanderungen wählen können als den Weg nach Carthago. Nicht weit von La Goletta, nachdem man knapp am Meeresufer an dem stattlichen, europäisch gebauten Hause des Hasnadars und an Pisang- und Palmenpflanzungen vorübergekommen ist, steigt der Boden allmälig an und erhebt sich zu unbedeutenden, theils ganz wüsten, theils mit Getreide bebauten Rücken. In dieser Gegend, wo gegenwärtig nur nomadisirende Araber ihre dunklen, von Kameelhaaren verfertigten Zelte aufschlagen oder armselige, aus wenigen dürren Zweigen zusammengesetzte Hütten bewohnen, hat einstens Carthago gestanden. Von der alten weltberühmten Stadt sind nur noch wenige Spuren zu entdecken, hie und da umherliegende zertrümmerte Bogen einer Wasserleitung, einige Steinquadern und Marmorstücke sind fast Alles, was von der ehemaligen Herrlichkeit übrig geblieben ist. Am besten sind noch die grossartigen Cisternen erhalten, deren Zahl sich auf ohngefähr ein Dutzend beläuft. Sie bestehen aus aneinander gereihten, von seitlichen unterirdischen Gängen begleiteten Tonnenwölbungen und sind zum Theil mit Regenwasser erfüllt, zum Theil bei dem dürren Boden ganz trocken und dienen dann wilden Tauben und der grossen augenfleckigen Eidechse (Lacerta ocellata) zum Aufenthalt.
Auf dem Hügel, der diese Cisternen beherrscht, erhebt sich an der höchsten Stelle, gerade im Mittelpunkt der Ruinen Carthago’s ein freundliches Kirchlein. Es ist St. Louis, eine Capelle, die frommer christlicher Sinn an dem Orte errichtete, wo der heilige Ludwig von Frankreich starb. Die Kirche ist ein einfacher, mit den Bourbonischen Lilien geschmückter gothischer Bau. In dem dieselbe umgebenden und von einer Mauer umfriedigten Garten, der einstens den europäischen Bewohnern von Tunis als letzte Ruhestätte diente, sieht man noch einige Ruinen und Ueberreste von antiken Kunstwerken, die jedoch meistens römischen Ursprungs sind; die werthvolleren wurden längst nach Europa geschafft. Bemerkenswerth sind nur noch einige Mosaikböden; einer derselben, den man jetzt für einen Brunnen verwendet hat, stellt schwimmende Fische von sehr verschiedenen Farben und Gestalten dar.
Die Aussicht, die man in der Nähe der Capelle, unmittelbar vor ihrem Eingange geniesst, ist grossartig und trotz ihrer Einförmigkeit fesselnd, einerseits erblickt man eine entfernte weisse arabische Ortschaft an einer sanft ansteigenden Hügelslehne, andererseits La Goletta, die Lagune und Tunis, dann die Cisternen, das Meer und ätherisch leicht die verschwommenen fernen Gebirge und den langgestreckten Vorsprung des Cap Bon.
Inzwischen war der Abend hereingebrochen, gewaltige drohende, theils ockergelbe, theils dunkelschwarze Wolkenmassen zogen am Zenit dahin, vom jagenden Winde getrieben. Heulend wehte der Samun gegen Norden und trieb entsetzliche Staubwirbel von verheerender Wirkung vor sich her. Vor Angst und Schrecken brüllten die weidenden Kameele und drängten sich mit ihren Köpfen in dichte Knäuel zusammen, um sich so gemeinschaftlich vor dem Sturme zu schützen. Dazwischen ertönte die heisere Stimme des Arabers unter seinem wandernden Zelte und Kindergeschrei mischte sich mit Frauengeächze. Die fahle bleigraue Lagune wurde von dichten Sand- und Staubwogen überschüttet; hoch auf prallte das Meer am nahen Strande und fiel mit dumpfem Schalle zurück; in völliges Dunkel gehüllt lag die Stadt und das umgebende Land verschwand allmälig in den bis auf den Boden herabhängenden Wolken. Oben über dem Kirchlein aber erglänzte das hohe Kreuz im grellen Lichte der unaufhörlich niederfahrenden Blitze wie das strahlende Bild einer Vision. Lange noch währte das Rasen der entfesselten Elemente, endlich aber begann sich der Sturm zu legen, doch klärte sich der Himmel nicht wieder auf, sondern ging in ein trauriges Bleigrau über, das nur dann und wann ein letzter Sonnenstrahl mit bleichem unheimlichem Licht durchbrach, bis endlich alles in tiefe Finsternis versank.
Lange noch blieb ich auf der einsamen Höhe, wie betäubt von dem grossartigen Schauspiele, das ich erlebte. Ich gedachte des grossen Heiligen, der auf derselben Erdscholle kniete und starb, und des grossen Kaisers, der an demselben unwirthlichen Strande landete, an welchem ich die aufgeregten Wogen schäumen sah. Der Kampf der Elemente schien mir die Zukunft, welcher der zerrüttete tunesische Staat entgegengeht, zu weissagen; möchte ihm das leuchtende Zeichen des Kreuzes zur glücklichen Vorbedeutung dienen!“
Zante, il fior di Levante – eine kleine Reise auf die Ionische Insel Zakynthos, die Ludwig Salvator 1904 einzigartig monografierte.
Das Ludwig-Salvator-Buchdigitalisierungsprojekt in Kooperation mit der Medienagentur Reithofer & Partner.
Im Frühjahr 2015 fand in Palma de Mallorca – Casal Solleric eine umfassende Ausstellung über Leben und Werk des Erzherzogs statt.
Herbert und der Archeduque – die erste deutschsprachige Filmdokumentation über EH Ludwig Salvator (1983).